Geschichten, die nur der Handball schreiben kann

Ein spektakuläres Handball-Wochenende liegt hinter uns: das REWE Final Four hat seinem Ruf mal wieder alle Ehre gemacht und sowohl sportlich als auch von der Stimmung her das Vorjahr noch einmal übertroffen – was eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit war. SG-Geschäftsführer Dierk Schmäschke attestiert der Veranstaltung Weltklasseniveau.
Nur aus sportlicher Sicht kann die SG Flensburg-Handewitt nicht ganz zufrieden sein, denn der finale Schritt gelang nicht. Aus der angestrebten Titelverteidigung wurde nichts. Verschiedene Faktoren waren ausschlaggebend, dass Ljubos Jungs dieses Mal in ihrem `zweiten Wohnzimmer´ leer ausgingen. Das schmerzt umso mehr, da sie einige Tage zuvor schon mehr als unglücklich gegen den KS Kielce in der Champions League die Segel streichen mussten. „Unserer Mannschaft fehlte heute die letzte Kraft. Es verhält sich wie mit einem Reifen. Man versucht die Körper und Köpfe der Spieler aufzupumpen, bekommt aber nicht immer genügend Luft rein“, so Dierk Schmäschke nach der 30:32-Finalniederlage gegen den SC Magdeburg. Schmerzlich vermisst wurde Spielgestalter Rasmus Lauge Schmidt, der sich am Tag zuvor eine rote Karte eingehandelt hatte und somit zum Zuschauen gezwungen war. 
Doch in erster Linie lag es am Gegner, der am Finaltag neben einer bärenstarken Defensive um Abwehrhüne Finn Lemke auch die besseren Einzelspieler aufzubieten hatte. Allen voran Jannick Green zwischen den Pfosten und Michael Daamgard als variabel spielender Denker und Vollstrecker im SCM-Rückraum waren nur schwer zu bezwingen bzw. zu halten. Dass es im Finale bis in die Schlussminuten spannend blieb, war dem starken Auftritt von Kentin Mahé geschuldet, der mit sechs Treffern in der zweiten Halbzeit seine Mannschaft auf Tuchfühlung hielt. Letztendlich vergebens, da halfen auch erfolgreich praktizierte Rituale aus der Vergangenheit nichts. Zur 51. Minute verließ Dierk Schmäschke die Arena, um nur vier Minuten später wieder vor Ort zu sein. „Das ist Aberglaube und mein eigenes Ding. Meistens dreht sich dann noch das Spiel zu unseren Gunsten. Heute leider nicht!“
Am Tag zuvor zeigte sich das sportliche Schicksal den Nordlichtern noch wohlgesonnen. Im vermeintlich vorweg genommenen Endspiel gegen die Rhein-Neckar-Löwen entwickelte sich ein an Dramatik nicht zu überbietender Handball-Krimi, den die SG nach Verlängerung denkbar knapp mit 31:30 für sich entscheiden konnte. Für den Gegner hingegen scheint das Final Four immer mehr zu einem Fluch zu werden. „Keine Frage, diese Niederlage schmerzt. Hamburg ist nicht unser Pflaster“, zeigte sich Löwen-Kapitän Uwe Gensheimer noch einen Tag später geknickt. Zum Helden des Spiels avancierte Anders Eggert, der drei Sekunden vor Ablauf der regulären Spielzeit einen Siebenmeter per Heber zum 26:26 in die Maschen beförderte und somit sein Team im Spiel hielt. „Anders ist mental sehr stark. Er entscheidet selber, wie er wirft. Wobei mich der Heber nicht mal gewundert hat, denn der gehört zu seinem Wurfrepertoire“, so Trainer Ljubomir Vranjes. Die Verlängerung dann nicht für schwache Nerven, die geprägt war von Holger Glandorfs Torinstinkt, Mattias Andersson Antizipationsvermögen und einer handfesten Auseinandersetzung, die dem seit Wochen und Monaten stark aufspielenden Rasmus Lauge den roten Karton einbrachte… und der SG damit ein wichtiger Final-Baustein wegbrach. 
Ein starkes Zeichen auf der Platte setzte auch Tobias Karlsson. Neben seiner robusten Defensivarbeit gab der schwedische Nationalspieler mit dem Tragen der Regenbogenbinde – bei der EM in Polen blieb ihm dieses noch verwehrt - ein klares Statement für mehr Toleranz und gegen Homophobie. Als ich ihn in der Mixed Zone darauf ansprach, ließ er verlauten: „Ich dachte früher, dass es als Aktiver bei Sportveranstaltungen in Deutschland nicht erlaubt ist. Jetzt habe ich mit jemanden aus meinem Bekanntenkreis gesprochen, der meinte, dass ich es falsch verstanden hätte. Daraufhin habe ich mich entschieden, die Binde zu tragen und mir gedacht: Mal sehen, was passiert. Ich habe sie mit Stolz getragen.“
Ein insgesamt wieder starker Auftritt der SG Flensburg-Handewitt beim Final Four. Auch wenn die angestrebte Titelverteidigung nicht gelang, konnten die “Nordmänner“ doch erhobenen Hauptes zurück an die Förde kehren. Dierk Schmäschke attestiert seiner Mannschaft, „einen richtigen Arsch in der Hose gehabt zu haben.“ Intern habe nach dem Champions League-Aus ein Druck geherrscht, den er so noch nie erlebt hat. Man wurde in Kielce um die Chance gebracht, erneut in Köln dabei zu sein. In Hamburg war die faire Chance gegeben, einen Titel zu holen. Doch vor allem ein starker Gegner hatte etwas dagegen. „Der SC Magdeburg ist verdienter Sieger. Aber aus dieser Niederlage können wir lernen“, so der SG-Geschäftsführer.

Fotos: Max Sander



Autor: Max Sander

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