Mai 2014

HSG Wetzlar: Immer bereit, alles zu geben

Die Handball-Bundesliga – oft betitelt als die stärkste Handballliga der Welt. Die Spitzenclubs spielen neben dem Kampf um die nationale Meisterschaft regelmäßig auch um die Handballkrone Europas. Was die Liga aber so faszinierend erscheinen lässt, ist das handballerische Spitzenniveau bis in die untere Tabellenregion. Das ist in Europa einmalig. Die Vereine der HBL können dank ihrer Millionen-Etats einer illustren Ansammlung von Nationalspielern eine Arbeitstelle anbieten, zudem wurde in den letzten Jahren reichlich Geld in Strukturen und Sportinfrastruktur investiert.Diese elitäre Gesellschaft hat in den vergangenen Jahren kaum Zuwachs bekommen. Ausnahmen wie GWD Minden oder der BHC bestätigen die Regel – wobei diese Vereine bei ihrem Zweitliga-Intermezzo mit erstligareifem Personal zu Werke gingen.
Warum ist es für einen `normalen´ Aufsteiger so schwer, die 1. Bundesliga zu halten? Für Klaus Elwardt, Geschäftsführer vom Branchenprimus THW, ist der Sprung ins Oberhaus mit Risiken versehen: „In der HBL gibt es eine ganz andere Spielstärke als in der 2. Liga. Ein Aufsteiger braucht eigentlich Zeit, die erforderlichen Maßnahmen umzusetzen, um für die 1. Liga gerüstet zu sein. Die Überlegung muss lauten: In was investiere ich - Mannschaft, Halle und Umfeld? Es ist sicherlich ein Wagnis aufzusteigen. Beispiel Neuhausen: Nach einem Jahr sind die wieder abgestiegen und deren Leistungsträger haben Blut geleckt und gehen zu anderen HBL-Vereinen.“ Sollen arrivierte Zweitligisten ohne entsprechend finanziellem Background also ganz die Finger vom Thema Aufstieg lassen? Auf der Suche nach Antworten lohnt ein Blick hinter die Kulissen der `kleinen´ Erstligaclubs.
Die HSG Wetzlar ist so ein Verein, der sich seit 16 Jahren erfolgreich in der HBL behauptet. Der Verein entstammt den beiden Stadteilvereinen TSV Dutenhofen und TV Münchholzhausen, die im Jahre 1992 eine gemeinsame Bundesligamannschaft unter dem Namen HSG ins Rennen schickten. Die wohl größten Erfolge feierte der Verein aus der etwas mehr als 50.000 Einwohner zählenden hessischen Kreisstadt im Jahr 1997, als der damalige Zweitligist sensationell das DHB-Pokalfinale erreichte. Das Finale gegen den TBV Lemgo ging zwar verloren, doch als Vize gelang der Sprung in den Europapokal. Dort wurde ein Jahr später Geschichte geschrieben, denn noch nie zuvor erreichte ein Zweitligist ein europäisches Finale, in dem sich die Hessen dem spanischen Spitzenclub CB Santander geschlagen geben mussten. Fast zeitgleich gelang der Aufstieg in die Handball-Bundesliga. Diese Erfolge sind eng mit dem Namen Rainer Dotzauer verbunden, der nach erfolgreichen Jahren auf der Trainerbank im Aufstiegsjahr ins Management des Vereins wechselte und in Velimir Petković einen passenden Nachfolger fand. „1998 war das Bundesligafundament bei der HSG durch die vorherigen Erfolge schon vorhanden. Der Verein hatte zwar den geringsten Bundesliga-Etat, konnte aber mit Zugpferd Markus Baur den Klassenerhalt sichern. In den folgenden Jahren haben sich Mannschaft und Umfeld stetig weiterentwickelt“, erinnert sich Gennadij Chalepo gerne an seine aktive Zeit als Spieler von 2000 bis 2005 zurück. Doch nicht nur als Spieler kennt der gebürtige Weißrusse mit deutschem Pass die HSG: „2009 bin ich als Trainer der 2. Mannschaft in Wetzlar eingestiegen, habe zudem den Job des Jugendkoordinators übernommen. Als der Verein im Jahr 2010 finanziell am Abgrund stand und Michael Roth von sich aus das Traineramt niederlegte, wurde das intern gelöst und ich hatte in den folgenden Jahren die Verantwortung für das Bundesligateam.“ Gleichzeitig wurden mit den Aufsichtsratmitgliedern Manfred Thielmann und Martin Bender sowie Geschäftsführer Björn Seipp neue Leute installiert, die den Verein wirtschaftlich wieder in ruhigeres Fahrwasser geleiteten. Wichtiger Baustein im Finanzkonzept spielt die 2006 eröffnete Rittal-Arena. Zu Anfang mit viel Skepsis versehen, ist das “Schmuckkästchen“ heutzutage nicht nur bei den Spitzenspielen mit über 4.400 Zuschauern ausverkauft. Die Auslastung liegt in dieser Spielzeit bei über 90 %.
Der wohl wichtigste Erfolgs-Baustein der Mittelhessen aber ist die exzellente Jugend- und Anschlussförderung. „Schon immer hatte die HSG eigene Jugendspieler in ihren Reihen. Sie sind immer ihrer Linie als Ausbildungsverein treu geblieben. Heute sind in vielen Vereinen Spieler zu finden, die in Wetzlar den Sprung in die HBL geschafft haben. Als Jugendkoordinator habe ich Spieler wie Kevin Schmidt oder Timm Schneider betreut. In der letzten Saison ist die B-Jugend erst im Finale um die Deutsche Meisterschaft an den Füchsen aus Berlin gescheitert, die A-Jugend ist seit einigen Jahren fester Bestandteil der Jugend-Bundesliga. Mein Sohn spielt in dieser Mannschaft, wechselt im Sommer nach Hüttenberg, um über die 2. Liga vielleicht den Sprung nach oben zu schaffen. Die Rivalen von einst kooperieren seit einiger Zeit in Sachen Anschlussförderung. Vor kurzem haben die A-Jugendlichen beider Vereine in einem Bus gesessen, um gemeinsam zum Rookie-Cup nach Berlin zu fahren. Früher wäre das undenkbar gewesen“, so Gennadij Chalepo. Das wohl bekannteste Gesicht der guten Anschlussförderung ist aktuell Steffen Fäth. Der Junioren-Europa- und Weltmeister von 2008 und 2009 galt in jungen Jahren als der kommender Star, wurde als MVP gefeiert. Unglückliche Jahre bei den Rhein-Neckar-Löwen ließen seinen Stern sinken, ehe der Halblinke bei der HSG Wetzlar ein neues sportliches Zuhause fand. „Für mich ist die HSG ein Verein, in der wirtschaftlich und sportlich gut gearbeitet wird. Junge Spieler bekommen viele Spielanteile und können sich dementsprechend entwickeln. In den nächsten ein bis zwei Jahren wollen wir uns im Mittelfeld etablieren und anschließend die EHF-Cup-Startplätze anpeilen. Wird aber schwierig“, so der 24-Jährige, der es inzwischen auf 15 Einsätze in der A-Nationalmannschaft gebracht hat.
Das in den nächsten Jahren weitere Spieler einen ähnlichen Weg wie Steffen Fäth einschlagen, gilt als wahrscheinlich - bei dem Trainer. Seit etwas mehr als zwei Jahren gibt Kai Wandschneider den sportlichen Takt vor. In der Handballszene genießt der Diplom-Sportlehrer mit hanseatischen Wurzeln einen ausgezeichneten Ruf, nachdem er mit dem TSV Dormagen 2008 den Aufstieg in die 1. Liga schaffte und die Rheinländer unter zum Teil schwierigen Voraussetzungen drei Jahre im Oberhaus halten konnte. Spieler wie Kentin Mahé, Adrian Pfahl, Christian Nippes oder Christoph Schindler konnten sich unter seiner Regie entwickeln. Parallelen zur HSG sind deutlich zu erkennen. „Als Trainer bin ich es gewohnt, immer wieder Leistungsträger an die finanzstarke Konkurrenz abgeben zu müssen. Den Spielern kann ich keinen Vorwurf machen, wenn sie sportlich und finanziell nach Höherem streben. Ich würde mir natürlich auch ein wenig mehr Kontinuität wünschen, weil es nicht immer einfach ist, eine neue Mannschaft zu formen. Dieses Jahr war mit Abstand die härteste Saison meines Lebens, die mir alles abgefordert hat. Trotzdem macht es unheimlich viel Spaß, hier zu arbeiten. Der Menschenschlag in Mittelhessen gefällt mir. Wenn sie dich erst einmal in ihr Herz aufgenommen haben, machen sie fast alles für dich. Das merkst du auch in den Heimspielen. Wir haben ein unglaublich gutes Publikum. Selbst wenn die Mannschaft enttäuschende Leistungen bringt, gibt es keine negative Stimmung in der Halle. Das ist gerade für junge Spieler unglaublich wichtig. Dann sind sie immer bereit, alles zu geben. Doch sie brauchen auch die erfahrenen Mitspieler als Vorbilder, von denen sie gerade in kritischen Situationen lernen können. Da stellt sich ein Spieler wie Ivano Balić ganz in den Dienst der Mannschaft und macht in vielen Spielen den Unterschied aus. Die Zusammenarbeit mit ihm ist ein Genuss. Weltklassespieler wie er haben eine unheimlich gute Selbstwahrnehmung und entscheiden sich intuitiv für das Richtige.“


Foto: Trainingshelden


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