"Nicht nur Abwehrchef - auch in der Offensive Qualitäten zeigen“

„Ich fand es schon komisch, dass Finn Lemke damals keinem so richtig aufgefallen ist und nie in einer Jugend-Nationalmannschaft gespielt hat“, sagt sein ehemaliger Trainer Niels Pfannenschmidt über den Abwehrchef der deutschen Nationalmannschaft. Inzwischen ist ganz Handball-Deutschland von den Defensivqualitäten des gebürtigen Bremers überzeugt. So auch Bundestrainer Christian Prokop: „Finn Lemke hat eine sehr gute Spielintelligenz. Er erkennt die individuellen Stärken eines jeden Gegenspielers und kann entsprechend darauf reagieren. Zudem organisiert er hervorragend die Verteidigung der deutschen Nationalmannschaft.“ Für den 25-jährigen besteht indes kein Grund, sich auf den Lobeshymnen auszuruhen. Vielmehr möchte er seine sportliche Entwicklung vorantreiben und sieht sich zukünftig nicht nur als “halben Spieler“.

Hallo Finn, eine komplette Woche bei der Nationalmannschaft inklusive zweier Länderspiele liegt hinter dir. Wie hast du diese Zeit unter Neu-Bundestrainer Christian Prokop erlebt? 
Finn Lemke: „Es war eine sehr intensive Zeit. Christian Prokop ist ja erst seit kurzem unser Trainer, da hieß es in dieser Woche in kürzester Zeit viel Neues aufzunehmen. Er arbeitet akribisch, ist zudem sehr kommunikativ. Da gibt es für uns Spieler im Training und bei der Vorbereitung auf den Gegner viel Input. Wobei Christian aufgrund der knappen Zeit bislang kaum taktische Neuerungen eingeführt hat. Das Angriffsspiel wurde teils verändert, im Defensivverhalten hat er uns einige Sachen vor Augen geführt, um unser System aggressiver zu machen. Christian Prokop ist – und das ist für mich die prägnanteste Gemeinsamkeit mit Dagur Sigurðsson – ein Trainer, der unbedingt gewinnen will. Diesen Siegeswillen hat er uns täglich vorgelebt.“

Ich habe vor ein paar Monaten mit Trainer Niels Pfannenschmidt ein Interview geführt. Darin hat er unter anderem über dich gesagt: „Finn Lemke hat ungemein starke Defensivqualitäten und ein gutes Organisationstalent. Aber in meinen Augen hat er auch seine Qualitäten im Angriff. Doch die Chance, diese zu zeigen, bekommt er nicht.“ Wie ist es für dich, fast ausschließlich nur in der Abwehr zu spielen?
Finn Lemke: „Das Wichtigste ist für mich, mit meiner Mannschaft zu gewinnen. Dazu möchte ich meinen Teil beitragen. Im Moment ist es meine Aufgabe, die Abwehr zu organisieren. Im Verein bekomme ich aktuell keine Zeiten im Angriff, deshalb spiele ich auch in der Nationalmannschaft ausschließlich in der Defensive. Aber ich sehe mich keineswegs nur als `halben´ Spieler, möchte mich weiter entwickeln und auch in der Offensive meine Qualitäten zeigen.“

Niels Pfannenschmidt gilt gemeinhin als dein Entdecker, der dich während deiner Lemgoer Zeit zum Bundesliga- und Nationalspieler weiter entwickeln konnte. 
Finn Lemke: „Niels hat einen unglaublichen Handballsachverstand. Er war für mich zur richtigen Zeit der richtige Trainer, dem ich viel zu verdanken habe. Er hat mich damals aus einem Provinzverein, der noch nicht einmal in der 3. Liga gespielt hat, zum Bundesligisten TBV Lemgo geholt. Dort hat er mir aufgezeigt, was ich für ein erfolgreiches Weiterkommen brauche und mir die richtigen `Tools´ an die Hand gegeben, die meine Entwicklung entscheidend voran gebracht haben. Unter einem anderen Trainer wäre das in so kurzer Zeit wohl nicht möglich gewesen.“

Aktuell spielst du noch beim SC Magdeburg. Seit Mitte Dezember seid ihr ungeschlagen, seid die beste Mannschaft der Rückrunde und habt im EHF-Pokal das Final 4 erreicht. Welche Gründe sind ausschlaggebend für den momentanen Höhenflug des SCM?
Finn Lemke: „Die Siege haben uns natürlich Selbstbewusstsein gegeben. Wobei man nicht vergessen darf, dass wir auch einige Spiele mit nur einem Tor Unterschied gewinnen konnten. Ein etwas anderer Spielverlauf und das Ergebnis hätte in der einen oder anderen Begegnung auch anders aussehen können. Mit jedem Sieg steigt das Selbstvertrauen, das einen in die Lage versetzt, das Spiel selbst zu bestimmen und die taktischen Vorgaben unseres Trainers durchzuziehen. In den vergangenen Jahren gelang es einigen Mannschaften aus dem Mittelfeld, sich in einen solchen Flow zu spielen wie wir ihn gerade erleben. Im vergangenen Jahr legte Melsungen eine ähnliche Serie hin, auch Magdeburg und Göppingen gelang so etwas in den Spielzeiten zuvor auch schon.“

Im Sommer wechselst du zur MT Melsungen. Was hat dich bewogen, von Magdeburg ins Nordhessische zu ziehen?
Finn Lemke: „Neben dem Angebot der MT Melsungen gab es auch Gespräche mit den Verantwortlichen des SC Magdeburg, meinen Vertrag dort zu verlängern. Die Konzepte beider Vereine waren für mich sehr schlüssig und bieten eine gute sportliche Perspektive, denn beide wollen oben angreifen. Doch ich möchte auch meine individuelle sportliche Entwicklung vorantreiben. In Magdeburg bin ich der vermeintliche Abwehrchef. Durch den Wechsel nach Melsungen erhoffe ich mir mehr Spielanteile im Angriff, da Trainer Michael Roth zukünftig auch offensiv auf mich setzt.“ 

Du studierst seit 2015 in Magdeburg Soziale Arbeit. Wie bist du zu diesem Studiengang gekommen? Schon eine Idee, was du nach deiner sportlichen Karriere beruflich machen möchtest?
Finn Lemke: „Ich habe vor meinem Wechsel nach Magdeburg ehrenamtlich in einer Behindertenwerkstatt in Lemgo gearbeitet. Nach diesem intensiven Einblick in den Joballtag stand mein Entschluss fest, im sozialen Bereich später einmal beruflich Fuß zu fassen. Der Leiter der Lemgoer Stiftung hat mir damals einen Weg aufgezeigt, wie ich Handball und den Jobeinstieg unter einen Hut bekommen kann und mir geraten, das Studium der Sozialen Arbeit aufzunehmen. In Magdeburg studiere ich jetzt im dritten Semester. Die beiden vorherigen verliefen sehr gut und so konnte ich schon einige Prüfungen erfolgreich absolvieren. Nach meinem Umzug nach Melsungen möchte ich mein Studium in Kassel weiter fortsetzen.“

Finn, vielen Dank für das Interview und viel Erfolg in den laufenden Wettbewerben.


Fotos: SC Magdeburg - Max Sander


Autor: Max Sander

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