"Schon als Spieler gelernt, mit großem Druck umzugehen"

"Schon als Spieler gelernt, mit großem Druck umzugehen"

Wenn in gut drei Wochen die Handball-Bundesliga zur 52. Spielzeit ihre Pforten öffnet, ist zum insgesamt 34. Mal auch wieder der TBV Lemgo dabei, der sich nach einigen Jahren des Abstiegskampfes zum Ziel gesetzt hat, in der kommenden Spielzeit entspannter auf die Tabelle zu blicken. Trainer Florian Kehrmann setzt dabei auf die gute Handballschule Ostwestfalens, die immer wieder junge Talente an die 1. Liga heranführt und dort etabliert. Aktuell hat der Turn- und Ballspielverein aus Lemgo einige vielsprechende “Jungspunde“ im Aufgebot, teils mit  “handballprominentem Familien-Backround“.
     
Hallo Herr Kehrmann, der TBV Lemgo hat in der vergangenen Saison ein richtiges Herzschlagfinale hingelegt, um im letzten Spiel in den Schlussminuten den Klassenerhalt zu schaffen. Wie haben Sie – rückblickend mit zwei Monaten Abstand betrachtet – dieses Saisonfinale erlebt? Wie haben Sie in der Sommerpause regenerieren können? 
Florian Kehrmann: „Ich bin kein Typ, der lange in die Vergangenheit zurückblickt. Wichtig ist mir, die richtigen Schlüsse zu ziehen, um anschließend nach vorne zu schauen. In den letzten zwei Monaten der vergangenen Saison hatte ich nie das Gefühl, dass wir den Klassenerhalt nicht schaffen könnten. Auch bei Rückschlägen wie Verletzungen oder schmerzhaften Niederlagen bin ich optimistisch geblieben. Ich persönlich habe im Abstiegskampf keinen großen Stress gespürt. Selbst einige im Verein meinten: Du wirkst aber entspannt. Liegt vielleicht daran, dass ich schon als Spieler gelernt habe, mit großem Druck umzugehen. Somit brauche ich in der Sommerpause auch kein spezielles Programm zum `Runterkommen´. Ich habe Urlaub gemacht und viel Zeit mit meinen Kindern verbracht. Zudem treibe ich auch privat Sport.“ 

Das “Gesicht“ des TBV Lemgo hat sich zur neuen Saison verändert. Mit Jari Lemke und Lukas Zerbe stehen jetzt auch zwei Youngster mit “handballprominenten Familien-Backround“ fest im TBV-Profikader, die schon in der vergangenen Saison in der 1. Bundesliga auf sich aufmerksam machen konnten. Was zeichnet diese Talente aus? Woran müssen Sie noch arbeiten? Gibt es ein sogenanntes „Handballer-Gen“? 
Florian Kehrmann: „Jari Lemke war in jungen Jahren schon ein großes Talent, hatte aber in B- und A-Jugend mit einigen Verletzungen zu kämpfen, die ihn in seiner Entwicklung zurückgeworfen haben. In den letzten Monaten hat er aber begriffen, dass er es als Profi in der 1. Bundesliga schaffen kann. Aktuell arbeitet er fleißig daran, um dieses Ziel Wirklichkeit werden zu lassen und nicht nur punktuell in der Liga zum Einsatz zu kommen. Dabei sollte er sich seinen Bruder zum Vorbild nehmen, der sich während seiner Lemgoer Zeit toll entwickelt und bei uns den Sprung zum etablierten Bundesligaspieler geschafft hat. Vom Spielertyp her sind die beiden aber nicht vergleichbar. Während Finn Lemke vor allem mit seiner Größe und seiner Dynamik besticht, punktet Jari durch viel Spielfreude und schnelle Entscheidungsfindung. Er muss aber noch an Deckungshärte hinzugewinnen. Das wird das Ziel für die kommenden Monate sein. Lukas Zerbe ist im Allgemeinen ein Sporttalent, der neben dem Handball auch auf dem Tennisplatz eine gute Figur abgibt. Er will immer gewinnen und stellt sich dabei in den Dienst der Mannschaft. Schon in jungen Jahren hat er bei unseren Youngstern Führungsqualitäten gezeigt. Insgesamt bin ich mit seiner bisherigen Entwicklung sehr zufrieden. Aktuell arbeitet er hart daran, sich für weitere Einsätze in der Bundesliga zu empfehlen. Dass es ein sogenanntes “Handball-Gen“ gibt, daran glaube ich nicht. Es kommt doch häufiger vor, dass Profisportler ihre Kinder mit zu Training und Wettkampf nehmen und diese sich ebenfalls für die Sportart begeistern. Doch nicht jedes Kind wird anschließend auch Profi.“

Ostwestfalen gilt als die `Herzkammer´ des deutschen Handballs und ist mit drei Vereinen in der 1. Bundesliga gut aufgestellt. Aber seit Jahren geht es für diese Vereine fast ausschließlich darum, den Klassenerhalt zu sichern. Was ist aus ihrer Sicht notwendig, damit TBV, GWD und TuS-N auch mittel- und langfristig gegen die Vereine aus den Großstädten konkurrenzfähig bleiben? 
Florian Kehrmann: „Wenn ich mir die Saison-Etats in der 1. Bundesliga vor Augen führe und dann auf die Tabelle schaue, wird klar, dass Geld natürlich ein gewisse Rolle spielt. Finanziell können die Vereine aus Ostwestfalen mit den Großen da nicht mithalten. Es gilt zu bedenken, dass wir in der Saison 2011/12 fast bankrott waren und dass uns diese Hypothek in den darauffolgenden Spielzeiten noch stark beeinträchtigt hat. Schwere Jahre mit viel Abstiegskampf liegen hinter uns. Wir beim TBV Lemgo müssen uns auch in Zukunft auf unser Konzept besinnen, immer wieder junge Spieler zu etablierten Bundesligaspielern zu entwickeln. Wichtig ist es, ihnen auch abseits des Spielfeldes eine berufliche Perspektive zu bieten. Aber alleine mit jungen Talenten kannst du in der 1. Bundesliga nicht bestehen. Es braucht auch erfahrene Leute wie Fabian Van Olphen oder Isaias Guardiola, die neu in unserem Team sind und Führungsaufgaben übernehmen werden. Unser Ziel ist es, über die kommende Saison hinaus hier in Lemgo etwas aufbauen.“ 

Heiner Brand hatte in der vergangenen Woche seinen 65. Geburtstag. Sie haben viele Jahre unter ihm in der Nationalmannschaft gespielt und zusammen 2007 den WM-Titel errungen. Was hat in all den Jahren Heiner Brand als Trainer und Mensch ausgezeichnet? 
Florian Kehrmann: „Heiner Brand war ein innovativer Trainer, der immer viel mit der Mannschaft gearbeitet und dabei häufig neue Inhalte in den Trainingsalltag einfließen lassen hat. Ich habe ihn ja schon als jungen Spieler 1997 bei meinem ersten Nationalmannschafts-Lehrgang kennen gelernt und war direkt davon angetan, wie er mit uns kommuniziert hat. Er hatte für uns Spieler immer ein offenes Ohr. Ich habe noch heute Kontakt zu ihm und freue mich immer, wenn sich die alten Handball-Kumpel zu einem Spiel treffen und Heiner sitzt dann auf der Bank.“ 

Herr Kehrmann, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg in der kommenden Saison.  


Foto: Max Sander


Autor: Max Sander

Reportagen hinter der Seitenlinie

Neueste Einträge