"Wissenschaftliche Studien belegen, dass Trainerentlassungen auf lange Sicht nichts bringen."

Er hat Finn Lemke den Weg in den Profihandball geebnet: Niels Pfannenschmidt. In Minden geboren und aufgewachsen, ist er schon in seiner Kindheit mit dem “Handball-Virus“ Ostwestfalens infiziert worden. Im Jahr 2003 schlug der damals 30-Jährige die Trainerlaufbahn ein, mit seinem Wechsel zu GWD Minden vier Jahre später wurde aus der Leidenschaft ein Fulltime-Job. Einen Namen in Handball-Deutschland hat er sich vor allem durch seine Tätigkeit beim TBV Lemgo gemacht. Sein Steckenpferd: Talententwicklung und Anschlussförderung. Etliche junge Spieler haben unter ihm den Sprung in die 1. und 2. Bundesliga geschafft. Aktuell für die sportlichen Belange des ASV Hamm-Westfalen zuständig, möchte der 42-jährige mittelfristig wieder als Trainer im Oberhaus arbeiten.

Hallo Niels, du bist in Minden geboren. Wie sehr hat dich die Handballregion Ostwestfalen geprägt?

Niels Pfannenschmidt: „Die Region und mein Heimatort haben mich sportlich schon sehr geprägt. Bis zur B-Jugend habe ich auch Fußball gespielt, mich dann entschieden, ausschließlich Handball zu spielen. In Ostwestfalen hat jeder Ort einen Handballverein, jedes Dorf seine eigenen Fans. Auf dem Feld herrscht Rivalität, nach dem Spiel wird fachgesimpelt. Zudem gibt es dort seit Jahrzehnten die Erstligavereine. Es herrscht eine große Tradition, schon im Feldhandball konnten Deutsche Meisterschaften gefeiert werden. Viele Stars wie zum Beispiel Bogdan Wenta, der beim TuS N-Lübbecke gespielt hat, haben den Weg in unsere Region gefunden.“

Von 2007 bis 2009 warst du Co-Trainer der Bundesligamannschaft von GWD Minden, zudem Trainer der Youngsters. Was zeichnet die GWD-Handballschule aus?

Niels Pfannenschmidt: „Dort wird den jungen Handballern eine hervorragende sportliche Ausbildung geboten, basierend auf sehr gut ausgebildeten Trainern im gesamten Jugendbereich. Die Arbeit lohnt sich, denn viele Talente schaffen im Seniorenbereich den Sprung in die Bundesliga. Alle Jugendmannschaften spielen in der obersten Liga, zudem spielt die 2. Mannschaft in der 3. Liga. Das ist optimal. Jugendkoordinator Dietmar Molthahn und sein Team leisten bei GWD tolle Arbeit. Schon zu meiner Zeit wurde dort viel Wert auf individuelles Training gelegt.“

Im Jahr 2009 bis du dann zum TBV Lemgo gewechselt. Wie kam es dazu?

Niels Pfannenschmidt: „Damals wurde von der HBL das Jugendzertifikat für Bundesligavereine eingeführt, der TBV hatte es 2009 nicht bekommen. Da habe ich aus Lemgo das Angebot bekommen, mich als Jugendkoordinator um den Aufbau professioneller Strukturen im Jugendbereich zu kümmern. Von da an habe ich im Laufe der Jahre alle Mannschaften von der C-Jugend aufwärts mal trainiert. Schwerpunkte meiner Arbeit waren natürlich die A-Jugend und die Youngsters, die 2011 den Aufstieg von der Oberliga in die 3. Liga geschafft haben. Viele Talente wie Finn Lemke, Nikolai Link oder Marcel Niemeyer wurden dort ausgebildet. Schon damals war gut zu erkennen, wo deren Weg mal hinführen wird.

Du hast Finn Lemke erwähnt – wie siehst du aktuell seine Entwicklung?

Niels Pfannenschmidt: „Schon als Finn Lemke im Jugendbereich Handball gespielt hat, habe ich seine Entwicklung verfolgt. Er fiel natürlich durch seine Größe auf, hatte aber schon damals eine unglaubliche Spielfähigkeit, wurde von den Gegnern ständig in Manndeckung genommen. Ich fand es schon komisch, dass er keinem so richtig aufgefallen ist und nie in einer Jugend-Nationalmannschaft gespielt hat. Bis 2011 hat er bei der HSG Schwanewede gespielt, bevor ich ihn zum TBV Lemgo geholt habe. In den ersten Jahren haben wir viel an seiner Athletik und Koordination gearbeitet. Trotz seiner Größe von 2,10 m hat er ein gutes Bewegungsverhalten. Diese Konstellation ist selten. In jedem Jahr hat Finn Lemke bei uns gute Entwicklungsschritte gemacht. In seinen ersten beiden Spielzeiten in Lemgo hat er viel bei den Youngstern gespielt. Als Trainer der Bundesligamannschaft habe ich ihn dann hochgezogen, so dass er sich in der 1. Liga etablieren konnte. Seit seinem Wechsel nach Magdeburg hat er sich mehr und mehr zu einem reinen Abwehrspieler entwickelt. Er hat ungemein starke Defensivqualitäten und ein gutes Organisationstalent. Aber in meinen Augen hat Finn Lemke auch seine Qualitäten im Angriff. Doch die Chance, diese zu zeigen, bekommt er nicht. Wobei ich mir kein Urteil über Trainer Bennet Wiegert und seine Arbeit beim SC Magdeburg bilden möchte, da ich zu weit weg bin, um diese zu bewerten. Im kommenden Jahr wechselt er zur MT Melsungen. Ich bin gespannt, wie seine Entwicklung weiter geht und wie Michael Roth ihn in die Mannschaft integriert.“

Was ist aus deiner Sicht wichtig, damit Talente den Sprung in die Bundesliga schaffen?

Niels Pfannenschmidt: „Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Ein junger Spieler muss neben seinem Talent viel Ehrgeiz mitbringen. Er muss mehr machen als andere. Zudem einen klaren Kopf bewahren und auf dem Boden bleiben. Wichtig ist auch ein gutes Zeitmanagement, um den anstrengenden Alltag zu bewerkstelligen. Denn neben dem Handball sollen die Jungs auch ihre schulische und berufliche Ausbildung nicht vernachlässigen. Um sie sportlich nach vorne zu bringen, braucht es vernünftig ausgebildete Trainer. Und den Mut, diese Talente dann auch im höherklassigen Seniorenbereich einzusetzen. Das Vertrauen in deren Leistungsstärke ist wichtig. Die jungen Spieler geben es in der Regel zurück.“

Im Herbst 2013 bist du Cheftrainer der TBV-Bundesligamannschaft geworden. In deiner ersten Saison hast du mit deinem Team einen sensationellen 9. Platz in der Abschlusstabelle belegt. Um nur ein halbes Jahr später diesen Trainerposten wieder zu verlieren. Wie war – im Nachhinein betrachtet – diese Zeit für dich?

Niels Pfannenschmidt: „Ich nehme viele positive Eindrücke aus meiner Erstligazeit mit. 2013 war die Situation in Lemgo schwierig, der Verein stand finanziell nicht gut da. Die Verantwortlichen des TBV haben mir die Chance gegeben, mich mit einer jungen Mannschaft in der 1. Bundesliga zu etablieren. In der Saison 2013/14 waren wir das Überraschungsteam der Liga, wohl kaum einer hatte uns eine so erfolgreiche Saison prognostiziert. Für mich persönlich war das erste Jahr eine sehr gute Erfahrung. Wenn du als junger Trainer die ausverkauften Arenen wie in Kiel betrittst und dich anschließend mit Trainern wie Alfreð Gíslason über unsere Sportart unterhältst, ist das spannend zu erleben und macht viel Spaß. Von daher ist es auch mein Ziel, wieder Trainer in der 1. Bundesliga zu sein. Aber Handball ist auch Ergebnissport, so ist das Geschäft. Als wir in meiner zweiten Saison etliche Niederlagen – viele mit nur einem Tor Unterschied – einstecken mussten, ist der Bonus als junger Trainer schnell aufgebraucht. Die Erfolge der Vergangenheit zählen plötzlich nicht mehr. Zudem hatten wir im Sommer etliche Leistungsträger verloren und bei Spielern wie Finn Lemke oder Hendrik Pekeler liefen zum Saisonende die Verträge aus, was zusätzliche Unruhe brachte. So wurde ich entlassen und Florian Kehrmann, mein damaliger Co-Trainer, bekam den Chefposten. Als Trainer musst du mit solch einer Entlassung fertig werden und darfst nicht alles persönlich nehmen. Aber ich musste mit der Situation erst einmal klar kommen. Eine schwere Zeit – aber man lernt auch daraus. Insgesamt sollte man allzu schnelle Trainerentlassungen doch kritisch hinterfragen. Wissenschaftliche Studien belegen, dass sie auf lange Sicht nichts bringen. In erster Linie gilt es doch, in sportlich schwierigen Situationen die Ruhe zu bewahren und nicht alles dem kurzfristigen Denken unterzuordnen.“

Seit Sommer 2015 trainierst du den ASV Hamm-Westfalen in der 2. Bundesliga. Was braucht es in Hamm noch, um wieder an der Tür zur 1. Bundesliga zu klopfen? Wo siehst du die größten Unterschiede zwischen der 1. und 2. Liga?

Niels Pfannenschmidt: „Es sind doch große Unterschiede zu erkennen. Wenn du auswärts antrittst, sind doch viele Hallen deutlich kleiner. In der 2. Liga geht es langsamer zu Sache gepaart mit zum Teil deutlich weniger Dynamik. Viele junge Spieler versuchen sich dort für höhere Aufgaben zu empfehlen, während du in der 1. Liga auf viele fertig ausgebildete Weltstars triffst. Beim ASV trainieren wir unter Erstligabedingungen, der Trainerstab ist sehr professionell aufgestellt. In meinem ersten Jahr hatten wir mit dem fünften Tabellenrang eine sehr gute Platzierung. Die Schattenseite des Erfolges: Im Sommer haben uns mit Tomáš Mrkva, Marian Orlowski und Ondřej Zdráhala wichtige Stammkräfte verlassen. Zwar haben wir neue junge Spieler geholt, von denen wir überzeugt sind. Doch der Aufbau einer neuen Mannschaft braucht Zeit, die Jungs müssen als Einheit zusammenwachsen. So ist unser holprige Start zu erklären. Nach einigen Niederlagen ist die Drucksituation für die Spieler gewachsen. Da gilt es Ruhe zu bewahren. Unser Konzept ist es, Talente weiterzuentwickeln. Dazu müssen sie auch spielen, um den nächsten Schritt in ihrer Entwicklung gehen zu können. Ein Beispiel: Julian Possehl bekam beim TBV Lemgo hinter Rolf Herrmann im rechten Rückraum kaum Einsatzzeiten. Bei uns spielt er jetzt regelmäßig. Die 2. Bundesliga gehört zu den Top Five der besten Handballligen Europas. Ich sage meinen Jungs immer: Diese Liga kann ein Sprungbrett für euch sein.“

Apropos Sprungbrett – mit Christoph Neuhold scheint ein junger Österreicher dieses beim ASV nutzen zu wollen. 

Niels Pfannenschmidt: „Der Junge ist super und spielt schon auf einem hohen Niveau. Aber mit seinen 20 Jahren braucht er noch Zeit. Er ist erst seit einigen Monaten bei uns in Hamm, da gibt es für ihn große Neuerungen zu bewältigen. Aber ich traue ihm den Sprung in die 1. Bundesliga zu. Ich beobachte ihn schon länger, kenne ihn aus der österreichischen Junioren-Nationalmannschaft. Genauso wie den Neu-Kieler Nikola Bilyk, um den wir uns auch bemüht hatten. Aber er hatte damals einen langfristigen Vertrag. Bei Christoph Neuhold ergab sich die Chance, ihn als Ersatz für Marian Orlowski zu verpflichten. Er passt gut zum ASV und unserem Konzept.“

Niels, vielen Dank für das ausführliche Gespräch und viel Erfolg in der noch laufenden Saison. 


Fotos: Max Sander - Wegener/ASV



Autor: Max Sander

Reportagen hinter der Seitenlinie

Neueste Einträge