Im Gespräch über die Highlights seiner Karriere fällt Nils
Babin, Keeper des TV Emsdetten, als Erstes sein Einstand als
Bundesliga-Torhüter in der Auswärtspartie beim ASV Hamm ein. Mir ging es genauso,
als ich mich auf dieses Interview vorbereitet und mir überlegt habe, welche
Fragen ich dem Torhüter a.D. (ab Juni 2016) stellen könnte. Ich war anno 2007
in der Maxi-Halle dabei, als der Stern eines jungen Torhüters aufging, der mit
schier unglaublichen Paraden den schon auf die Siegerstraße eingebogenen ASV-Angreifern
sämtliche Nerven raubte. Damals fehlte Marcus Cleverly (die etatmäßige Nr. 1)
im Kasten, sein Stellvertreter erwischte keinen guten Tag, so dass es nach zehn
Spielminuten 1:9 stand. Trainer Patrik Liljestrand hatte wohl eine Eingebung
und beorderte den damals 18-jährigen Torhüter-Novizen zwischen die Pfosten.
Schon zur Pause wurde ich von erstaunten ASV-Fans gefragt, wer denn dieser
„Hänfling“ im TVE-Kasten sei, um nach 60 Minuten schier fassungslos dem
Sieges-Jubel der mitgereisten TVE-Fans zusehen zu müssen. Nils Babin wurde auf
Schultern durch die Halle getragen, seit diesen Tagen genießt er den Respekt
des Hammer Handballpublikums. Im Laufe der Jahre ist Handball-Deutschland dazu
gekommen.
Einer, der den Publikumsliebling wie kaum ein Zweiter kennt,
ist sein Freund und ehemaliger Mannschaftskollege Stefan Thünemann, mit dem er
sieben gemeinsame Jahre Bundesliga-Handball erlebte. „Nils ist ein Torhüter,
der eine unglaubliche Reaktionsschnelligkeit besitzt. Er hat die Gabe, mit
seiner emotionalen Art die Mannschaft sowie die Fans mitzureißen und ein Spiel
zu entscheiden. Als Mensch habe ich ihn stets als sehr ehrlich, zuverlässig und
fleißig kennen und schätzen gelernt.“ In knapp vier Monaten wird Nils Babin es seinem Kumpel
gleichtun und seine Handballschuhe an den berühmten Nagel hängen.
Hallo Nils, du beendest im Alter von 29 Jahren deine
Handball-Karriere. Warum?
Nils Babin: „In mir kam der Wunsch auf, mehr freie Zeit zu
haben. Aktuell habe ich mit Handball und meinem
Fulltime-Job bei den Stadtwerken eine 70-Stunden-Woche. Wenn du bei
einem Auswärtsspiel den ganzen Tag weg bist und du Freundin, Familie und
Kumpels am Wochenende kaum zu Gesicht bekommst, stellst du dir irgendwann die
Frage: Ist es der ganze Aufwand noch wert? Im vergangenen Sommer ist der
Entschluss gereift, meine Handballschuhe an den Nagel zu hängen. Das habe ich
dem Verein gegenüber frühzeitig kommuniziert. Es gab Versuche, mich weiter
einzubinden, z. B. in die Arbeit mit jungen Torhütern. Doch ich brauche erst
einmal eine Pause vom Handball. Ich will aber nicht ausschließen, später noch
mal als Keeper aktiv zu werden. Ab Sommer ist Radfahren angesagt. Ich habe mir
ein Rennrad bestellt und freue mich darauf. Dass ich zum April den Job wechsele
und zu einem Fernleitungsnetzbetreiber nach Münster gehe, hat mit meinem
Karriereende nichts zu tun. Ich werde weiterhin in Emsdetten wohnen bleiben und
freue mich auf freie Abende und Wochenenden.“
In all den Jahren hast du nur beim TV Emsdetten gespielt und
deinen Vertrag jeweils immer nur um ein Jahr verlängert – Warum? Gab es
Angebote von anderen Vereinen?
Nils Babin: „Ich komme aus Reckenfeld und wenn ich seit
meinem Wechsel zum TVE eines gelernt habe, dann: Handball ist Teamsport. Ich
habe mit all den Jungs hier eine sehr gute Zeit gehabt – das prägt. Handball
hat in Emsdetten einen hohen Stellenwert, da hängt viel Herzblut dran. Es ist
meine Heimat, hier spüre ich durch mein Umfeld viel Geborgenheit. Zu Hause
sprechen wir über viele andere Dinge, da rückt Handball dann aus dem Fokus. Das
ist mir wichtig. Ich habe mal ein halbes Jahr für den Wilhelmshavener HV in
der 1. Bundesliga gespielt, bin dann wieder zurück zum TVE. Ein-Jahres-Verträge
habe ich immer aus dem Grund abgeschlossen, dass ich - wie aktuell - frei in
meiner Entscheidung bin, wann es genug ist. Die Verantwortlichen beim TVE haben
das immer akzeptiert, auch wenn mir letzten Jahr ein längerfristiger Kontrakt
angeboten wurde. In den vergangenen Spielzeiten gab es öfter mal Angebote von
anderen Vereinen, auch aus der 1. Bundesliga. (Gerne hätte ich die Namen
erfahren. Bundesliga-Handballer sprechen aber eher ungern über Verträge und
Angebote anderer Vereine / Anm. der Red.). Einmal wäre ich fast schwach
geworden. Denn schon als Kind habe ich davon geträumt: Wenn der Verein mal
anruft, dann gehe ich dort hin. Aber nach Abwägung aller Dinge, die mein Leben
betreffen, bin ich in Emsdetten geblieben.“
Wenn du auf deine sportliche Karriere zurückblickst – was
kommt dir gedanklich als Erstes in den Sinn?
Nils Babin: „Ich erinnere mich gerne an mein erstes
Bundesligaspiel in Hamm. Das war ein Traumeinstand. Ich hatte damals nicht mal
ein eigenes Trikot, habe mir ein eigenes Leibchen gebastelt und dort meinen
ersten Auswärtssieg gefeiert. Gerne denke ich an das Heimspiel gegen den
Bergischen HC in der Aufstiegssaison sowie das Auswärtsspiel in Bietigheim
zurück, als wir den Sprung in die 1. Bundesliga endgültig klar machen konnten.
Das Jahr mit dem TVE in der 1. Bundesliga war insgesamt bitter, die vielen
Niederlagen haben natürlich nicht so viel Spaß gemacht. Aber alle Spieler haben
aus diesem Jahr gelernt. Damals ist mir klar geworden, wie groß der Unterschied
zwischen 1. und 2. Liga ist und dass du als Mannschaft dort oben nur eine
Chance hast, wenn gute Absprachen getroffen werden. Ich habe in diesem Jahr
auch gelernt, mich über kleine Dinge zu freuen. Für mich persönlich war
sicherlich der Heimsieg gegen GWD Minden das Highlight. Zudem haben wir zweimal
gegen den TuS N-Lübbecke gewonnen. Im Rückspiel habe ich mich während des Warmmachens
abgelegt und die Schadenfreude der TuS-Anhänger gespürt. Nach 60 Minuten konnte
ich dann lachen.Insgesamt blicke ich auf eine sehr schöne Zeit zurück. Der
Profihandball hat mir die Möglichkeit gegeben, viele interessante Menschen
kennenzulernen und Freunde zu gewinnen. Viele Isländer und Holländer sind
dabei. Einer, der mich in Sachen Mannschaftsloyalität sehr geprägt hat, ist
Elvir Selmanovic. Das habe ich mit in meinen Job genommen. Als Torhüter habe
ich wohl am meisten von Trainer Patrik Liljestrand profitiert, selber früher
Keeper auf Weltklasseniveau. Er hat mir beigebracht, dass einem das
Videostudium als Vorbereitung weit nach vorne bringt. An einem schlechten Tag
kann es dir aus der Patsche helfen oder in entscheidenden Situationen einen
Vorteil verschaffen.“
Der Handball erlebt nach dem EM-Triumph einen wahren Boom.
Wie beurteilst du - aus Sicht eines Torhüters - die Leistung der deutschen Nationalmannschaft
und speziell von Andreas Wolff?
Nils Babin: „Ich fand das Zusammenspiel von Abwehr und
Torhüter überragend, das war der Schlüssel zum Europameisterschaftsgewinn.
Andreas Wolff lebt von seiner Gelenkigkeit und seiner Maße und stellt sich damit
den Angreifern in den Weg. Gerade Außenspieler haben es sehr schwer. Da ist so
viel Körper zwischen den Pfosten, da ist die Tür zu. Er wird zur kommenden
Saison mit Niklas Landin beim THW Kiel ein überragendes Torhütergespann bilden.
Auch deshalb, weil die beiden von ihrer Spielweise so unterschiedlich sind.“
Apropos 1. Bundesliga – wie siehst du die Perspektiven des
TVE in Bezug auf einen erneuten Sprung ins Oberhaus?
Nils Babin: „Entscheidend dafür, dass es in einigen Jahren
mit einem erneuten Aufstieg klappen könnte, ist die Tatsache, dass Daniel Kubes
einen 5-Jahres-Vertrag unterschrieben hat. Dadurch ist die Chance gegeben, denn
er bringt als Trainer unfassbar viel mit. Er hat eine hohe Qualität, die
individuelle Entwicklung junger Spieler voranzubringen. Jasper Adams ist
stellvertretend doch ein super Beispiel. Zudem hat er die Mannschaft zu einem
funktionierenden Kollektiv geformt. Das brauchst du in dieser ausgeglichenen
Liga mit den vielen Spieltagen, wenn du keine absoluten Top-Spieler in den
Reihen hast. Was bei uns noch fehlt, ist die Tiefe im Kader. In Zukunft wird es
darauf ankommen, noch mehr auf die Jugendarbeit zu setzen, um Talente zu
entwickeln. Da müssen noch mehr junge talentierte Spieler aus der Region den
Weg zum TVE finden. Die Zukunft des Vereins sehe ich in Emsdetten. Auch wenn
wir in der Relegation vor ein paar Jahren in Münster in einer guten Halle eine
tolle Atmosphäre erleben durften, wäre es das falsche Signal, zukünftig
dauerhaft dort hinzugehen. Emsdetten ist so handballbegeistert, ein Umzug wäre
das falsche Signal.“
Nils, vielen Dank für das Interview. Genieße deine Abschiedstournee!
Fotos: Dieter Dorn - Max Sander