Schaut man sich die Entwicklung der Handball-Bundesliga seit dem Jahr 2000 an, so fällt ein Trend deutlich ins Auge: Die Handballdörfer mit ihren Sporthallen verschwinden nach und nach von der Bildfläche, die stärkste Liga der Welt hält Einzug in die Multifunktions-Arenen der Großstädte. Während Traditionsvereine wie TV Großwallstadt, TuS Schutterwald, SG Leutershausen, TV Hüttenberg und einige andere die Segel streichen mussten, gehören Berlin, Hannover, Mannheim, Stuttgart, Erlangen/Nürnberg, Melsungen/Kassel, Wuppertal/Solingen (und bis vor kurzem auch Hamburg) neben Kiel und Magdeburg inzwischen zum Establishment. Im vergangenen Sommer hat es den TuS N-Lübbecke erwischt. Zum zweiten Mal musste das Gründungsmitglied der eingleisigen 1. Bundesliga den bitteren Gang in die Zweitklassigkeit antreten. Der Trend macht auch vor der Handballregion Ostwestfalen-Lippe keinen Halt, obwohl mit GWD Minden und TBV Lemgo noch zwei Vereine die „Erstligafahne“ hochhalten. Ich habe mich mit Zlatko Ferić, Teammanager bei TuS N-Lübbecke und Nils Torbrügge, der im Sommer von Minden nach Lübbecke gewechselt ist, über diese Entwicklungen in OWL unterhalten.
Hallo Herr Ferić, hallo Herr Torbrügge, in einem Interview hat Herbert Lübking, Handball-Legende aus Ostwestfalen die Meinung vertreten: „Heutzutage ist es doch in der Bundesliga eine rein finanzielle Frage, wer oben steht. Was für Sponsoren gibt es in der Stadt/der Region und was sind diese bereit zu zahlen? Da sehe ich die großen Städte klar im Vorteil. Unsere Mannschaften aus Ostwestfalen können gegen die finanziell gut ausgestatteten Vereine nicht mehr so gut mithalten. Da würde es doch Sinn ergeben, wenn sich Lübbecke und Minden zu einer Spielgemeinschaft zusammenschließen würden, um in der 1. Liga nicht zu den Abstiegskandidaten zu zählen. (…)“ Wie denken Sie darüber?
Zlatko Ferić: „Der Meinung von Herrn Lübking stehe ich aufgeschlossen gegenüber. Wenn wir wirtschaftlich durch eine Fusion mit den Großen auf Augenhöhe wären, würde es Sinn ergeben. Aber auch mit kleinem Budget bietet der TuS N-Lübbecke guten Handball. Für uns ist doch die Frage viel spannender, ob wir es schaffen, ab und zu die Großen zu ärgern und gesamt gesehen die 1. Bundesliga zu halten. Das sehe ich als unsere Herausforderung für die Zukunft an. Gerade haben doch Wetzlar, Coburg und Erlangen bewiesen, dass man Mannschaften wie Kiel oder Melsungen Paroli bieten kann. Darüber hinaus sehe ich so schnell keine Option, dass TuS und GWD gemeinsame Sache machen. Im Fußball gehen ja Schalke und Dortmund auch nicht zusammen, obwohl es wirtschaftlich Sinn ergeben würde.“
Nils Torbrügge: „Generell kann auch ich mich mit dieser Idee anfreunden. Dabei stellt sich die Frage: Welche sportliche Ziele sollen durch den Zusammenschluss verfolgt werden – unter die Top 10 der 1. Liga? Dabei müssten hier im Mühlenkreis so Einige über ihren Schatten springen und die Tradition Tradition sein lassen. Auf der anderen Seite hat die Rivalität beider Vereine auch was Gutes, denn die Derbys sind schon etwas Besonderes. Beides gilt es abzuwägen.“
Wie muss man sich als Außenstehender diese Rivalität vorstellen?
Zlatko Ferić: „Im deutschen Handball gibt es einige Derbys: Kiel gegen Flensburg oder Wetzlar gegen Melsungen. Das Besondere an den Derbys hier bei uns in Ostwestfalen ist aber, dass auf diesem kleinen Fleck Erde im Umkreis von 50 Kilometer mit TuS N, GWD und TBV drei etablierte Erstligisten – je nach Auf- bzw. Abstieg - zu Hause sind. Heutzutage ist die 1. Liga wirtschaftlich für alle Drei nicht einfach zu stemmen. In der Vergangenheit war es einfacher, weil im Sport viel weniger Geld im Umlauf war und auch die Vereine aus Ostwestfalen mit den Großen auf Augenhöhe konkurrieren konnten. Spiele gegen Kiel oder Berlin sind für uns etwas Besonderes, aber ein Derbys gegen Minden und Lemgo haben schon ihren ganz eigenen Reiz.“
Nils Torbrügge: „Die Rivalität beider Vereine und ihrer Anhänger spürst du schon im Alltag und ist in den Tagen vor einem Derby noch intensiver. Die Medien berichten umfangreicher, als Aktiver wirst du häufiger auf das Spiel angesprochen, die Anspannung steigt. Es gibt heutzutage noch Sprüche wie: „Oh Gott, zieh die grüne Hose aus!“ Oder mein Nachbar gibt mir des Öfteren mit auf den Weg: „Meine Augen können deinen roten Polo nicht ertragen!“ Aber die Rivalität lebt auch in den vielen Anekdoten von früher. Bei meinem Wechsel im Sommer habe ich keinerlei negative Erfahrungen gemacht und bin in Lübbecke sehr positiv aufgenommen worden. Der Wechsel hat für mich sportlich einfach Sinn ergeben. Ich hatte in Minden zwar noch ein Jahr Vertrag. Aber GWD hat im Februar einen dritten Kreisläufer verpflichtet, so dass meine Einsatzzeiten in dieser Saison dort sehr überschaubar gewesen wären. Da kam der Anruf von Aaron Ziercke, den ich noch aus gemeinsamen GWD-Zeiten her kenne, genau zur rechten Zeit. Er hat mich von seinem Konzept, dass er hier in Lübbecke verfolgt, überzeugt. Zumal er auch offensiv auf mich setzt. Und das ich in meiner Heimat Ostwestfalen bleiben kann, ist auch schön.“
Der Trend in der 1. Bundesliga geht hin zur Großstadt mit seinen modernen Arenen. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Gibt es Pläne in Sachen Neubau für die in die Jahre gekommene Merkur-Arena?
Zlatko Ferić: „Alles wird größer und pompöser, Handball wird immer mehr zum Event. Klar ist, dass auch wir uns diesem Trend nicht verschließen können. In absehbarer Zeit wird es aber bei uns in Lübbecke keine neue Halle geben. Die Merkur-Arena stammt aus den 80er-Jahren und ist in Sachen Komfort natürlich nicht auf den neuesten Stand. Von der Kapazität aber reicht´s, denn unser “Handballdorf“ zählt nur 18.000 Einwohner und gerade einmal 20 km entfernt beginnt die Fangrenze, ab der auch GWD um Handballfans in der Region wirbt. In Sachen Komfort versuchen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten unseren Zuschauern schon etwas zu bieten. Aber bei all dem ganzen Drumherum während eines Handballspiels sollten wir eines nicht vergessen: Unsere Sportart ist in vielen Dorfvereinen wie Nettelstedt oder Hüttenberg entstanden und es wäre fatal, diese Vereine nicht mitzunehmen. Gibt es keine kleinen hochklassigen Vereine als Basis, dann gibt es auch keine Spitze im bezahlten Handball. Viele der deutschen Nationalspieler, die in den vergangenen Monaten bei EM oder Olympia für viel Furore gesorgt haben, haben doch gerade in den kleinen Vereinen das Handball-ABC gelernt und haben dort erste entscheidende Schritte in den Profihandball getan.“
Nils Torbrügge: „Der Trend ist doch verständlich, da es in größeren Städten in der Regel eine höhere Wirtschaftskraft gibt und somit die Chance gegeben ist, ein Mehr an Sponsorengeldern zu akquirieren. Zusätzlich bieten die großen Hallen die Chance auf hohe Zuschauereinnahmen. Doch wenn ich mir den Profihandball in Ostwestfalen so anschaue, sind wir wirtschaftlich gar nicht so schlecht aufgestellt. TuS, GWD und TBV haben zusammen einen geschätzten Etat von 12 Mio. Euro. Drei Bundesligavereine in einem Radius von 100 Kilometer, wo gibt es das sonst in Deutschland? Aber natürlich stehen die Vereine in Sachen Sponsoring und Zuschauereinnahmen in Konkurrenz zueinander. Eine neue Handball-Arena in Ostwestfalen hätte was und in Minden scheint man auf einem guten Weg zu sein. Doch eine Halle dort wird nur von GWD genutzt. Mein Vorschlag: Warum nicht eine neue Arena in der Mitte zwischen Minden und Lübbecke, z.B. in Bad Oeynhausen bauen? Aber ich finde auch, dass kleinere Hallen ihren Reiz haben und es dort stimmungsmäßig gut abgehen kann. Mir sind 3.000 Zuschauer in der Merkur-Arena lieber als die gleiche Anzahl in einer Halle mit über 5.000 Sitzplätzen.“
Spüren Sie im Verein Rückenwind, seit die Nationalmannschaft wieder für positive Schlagzeilen sorgt?
Zlatko Ferić: „Im Moment spüren wir das noch nicht so, aber dazu gab es in der Vergangenheit beim DHB, aber durch den Abstieg bei uns in Lübbecke etliche negative Erlebnisse. Doch ich schaue positiv nach vorne. Die Umstrukturierung und das neue Konzept beim DHB zahlen sich aus. Die Fans identifizieren sich wieder mit der Nationalmannschaft. Aber es wird ein langer Prozess werden, junge Leute wieder für den Handball zu begeistern.“
Der TuS N-Lübbecke wird von den meisten Trainern in der 2. Bundesliga als Top-Favorit auf den Aufstieg gehandelt. Wann soll es wieder zurück in die 1. Bundesliga gehen?
Zlatko Ferić: „Wir haben natürlich Ansprüche an unsere neu formierte Mannschaft. Nach dem Abstieg in der letzten Saison hatten wir einen großen Umbruch im Kader und auf der Trainerbank zu verzeichnen. Es braucht seine Zeit, bis sich unser neu formiertes Team gefunden hat und so funktioniert, wie wir uns das vorstellen. Deswegen setzen wir die Mannschaft auch nicht mit dem Ziel unter Druck, unbedingt aufsteigen zu müssen. Wir gehen voller Respekt und mit Demut in diese Spielzeit. In der 2. Bundesliga gibt es viele Mannschaften, die auf hohem Niveau Handball spielen können. Als Absteiger aus der 1. Bundeliga hast du automatisch eine Favoritenrolle inne und es freut uns, dass viele Trainer uns den Wiederaufstieg zutrauen. Wir selber sehen uns aber nicht in dieser Rolle.“
Nils Torbrügge: „Vom Management her spüren wir keinen Druck, den sofortigen Wiederaufstieg schaffen zu müssen. Wir haben mit unserem kleinen Kader, der nur aus 13 Spielern besteht, eine gute Vorbereitung absolviert und wollen mit einem guten Start die Basis legen, oben mitzuspielen. Die 2. Bundesliga kenne ich ja noch aus Mindener Zeiten und daher weiß ich, dass diese sehr ausgeglichen besetzt ist. Das zeigen auch die ersten Spieltage, wenn vermeintliche Favoriten gegen einen Aufsteiger verlieren.“
Herr Ferić, Herr Torbrügge, vielen Dank für das Interview und viel Erfolg in der laufenden Saison.
Fotos: Max Sander