Magazin

Rüdiger Jurke: "Ich trage den Bergmannsstolz in mir"

Rüdiger Jurke: "Ich trage den Bergmannsstolz in mir"

Sein Trainer sagt über ihn: „Rüdiger Jurke ist Handball Erzgebirge und umgekehrt.“ Runar Sigtryggsson muss es wissen, denn seit Sommer 2012 arbeitet der isländische Coach eng mit dem Manager des EHV Aue zusammen, um mit viel Leidenschaft und sportlichem/wirtschaftlichem Sachverstand Bundesliga-Handball in der strukturschwachen Region nahe der tschechischen Grenze möglich zu machen. Als ich ihn zum Interview treffe, werde ich mit einem fröhlichem „Glück auf“ begrüßt. Nach dem knapp einstündigen Gespräch kann ich die Aussage des Isländers nur bestätigen – der EHV-Macher hat Handball im Blut und Heimat im Herz!

Herr Jurke, im kommenden Jahr werden sie ihr 20-jähriges Dienstjubiläum als Manager der EHV Aue feiern,  sie sind seit über 40 Jahren ihrem Verein verbunden. Wenn Sie ihr Leben als Handballer einmal Revue passieren lassen, was kommt Ihnen in den Sinn?
Rüdiger Jurke: „Zu DDR-Zeiten war ich Spieler bei der BSG Wismut und gleichzeitig als Schlosser im Bergwerk beschäftigt. Von fünf Arbeitstagen bekam ich für den Handball drei Tage frei, um in der DDR-Oberliga (vergleichbar mit der 1. Bundesliga im Westen/ Anm. der Re.) auf Torejagd zu gehen. Ich trage noch den Bergmannsstolz in mir. Bis vor 6 Jahren musste jeder unserer Spieler das Steigerlied „Glück auf, der Steiger kommt“ mitsingen können. Heutzutage läuft es in unserer Halle beim Einmarsch der Spieler und bei Heimsiegen nach Spielende. Unser Verein entstammt aus der Tradition des Bergbaus und diese möchten wir ein wenig beibehalten. Die Wendezeiten gestalteten sich schwierig, viele Spieler verließen den Verein und nach nur einem Jahr in der 1. Bundesliga mussten wir den Weg in die Zweitklassigkeit antreten. Für uns waren Bereiche wie Sponsoring absolutes Neuland, denn zu DDR-Zeiten wurde der Sport vom Staat finanziert. Wir haben uns damals entschlossen, das Wort Wismut aus dem Vereinsnamen zu nehmen, denn das uranhaltige Erz sollte nicht auf unser Image nach dem Motto „Die sind ja eh alle verstrahlt“ abfärben. Unser erster Sponsor war Erdinger Weißbier, der neben uns im Handball nur noch den THW Kiel unterstützt hat. Zu Beginn hatten wir einen Vermarkter aus dem Westen, der aber akquirierte Sponsorengelder veruntreut hat. Das hat zu Beginn der 90er Jahre meine Arbeit bei eine Werbeagentur, die Sponsoring für den Verein betrieben hat, deutlich erschwert. 1996 wurde die EHV-GmbH gegründet, seitdem bin ich dort als Manager tätig.“

Die Stadt Aue hat gerade einmal 16.000 Einwohner, ist aber mit einem Handballverein in der 2. Bundeliga und einem Fußballclub in der 3. Liga vertreten. Wie ist das möglich in einer wirtschaftlich nicht gerade prosperierenden Gegend?
Rüdiger Jurke: „Was viele nicht wissen: Unsere Ringer sind auch in der 2. Liga vertreten, zudem spielen unsere Schachspieler in der Schach-Bundesliga. Die Sportstadt Aue ist nach und nach gewachsen, beruhend auf der Bergmannstradition. Unter Tage muss jeder zu jedem stehen. Das ist in den Köpfen der Erzgebirger noch fest verankert. Als Firma in Aue und Umgebung muss man Sponsor beim Handball und Fußball sein, sonst haben die ein Imageproblem. Im Laufe der Zeit sind Netzwerke entstanden. Ich bezeichne mich gerne als den bekanntesten Bettler von Aue. Aktuell haben wir 178 Sponsoren, die zwischen 500  und 100.000 € zum Etat beitragen. Mit der Sparkasse, einem Energieunternehmen und der Firma Nickelhütte können wir auf drei verlässliche Hauptsponsoren als Partner an unserer Seite zählen. Vom Gesamtetat rangieren wir in der 2. Liga auf einem Mittelfeldplatz.“ 

Fußball – Konkurrent oder Partner des EHV Aue?
Rüdiger Jurke: „Zu meiner aktiven Zeit als Handballer sind wir noch gemeinsam mit den Fußballern in den Urlaub gefahren. Heute gibt es kaum noch Kontakte zum anderen Lager. Die Fußball- und Handballfans im Erzgebirge unterscheiden sich allein schon in der Altersstruktur. Fußballfans kommen auch zum Handball, deren Zahl ist aber überschaubar. Ich finde es gut, wenn die Spiele des FC Erzgebirge und des EHV immer an einem Samstag stattfinden könnten. Das wäre gut für das Familienleben unserer Mitbürger. Doch oft finden die Spiele des FCE an einem Freitag statt, wir spielen samstags. Was mich insgesamt traurig stimmt, welche Dimensionen die mediale Vermarktung des Fußballs angenommen hat. Wenn ich sehe, dass jetzt auch noch Spiele der Fußball-Regionalliga live im TV übertragen werden und Handball dafür weichen musste. Für die Region Erzgebirge freue ich mich natürlich, wenn unsere Kicker den Leuten hier hochklassigen Fußball bieten können.“

Der EHV Aue ist seit 2012 wieder in der 2. Bundesliga vertreten. Ist Handball in dieser Liga nur noch mit professionellen Strukturen zu betreiben?
Rüdiger Jurke: „Die ausländischen Spieler und der Trainer sind bei uns als Vollprofis tätig, die deutschen Spieler arbeiten in der Regel 25 bis 30 Sunden außerhalb oder gehen einem Studium nach. Auch im Management arbeiten wir schon länger mit professionellen Strukturen. Ich kommenden Jahr werde ich 20 Jahre hauptamtlich für den Verein tätig sein. Doch allein ist der Berg an Arbeit nicht zu bewerkstelligen. In unserer Geschäftsstelle kann ich auf die Arbeit einer Sekretärin zählen, zudem haben wir einen geringfügig Beschäftigten angestellt. Mit der Ehrenamtlichkeit ist das so eine Sache. Das Vereinsleben bei uns im Osten ist in diesem Bereich nicht so ausgeprägt wie im Westen. Um in dieser Liga bestehen zu können, braucht es professionelle Strukturen. Bis vor wenigen Jahren war die eingleisige 2. Bundesliga für den EHV finanziell nicht darstellbar und ich gehörte zu einen der wenigen permanenten Gegner des Nord-Süd-Zusammenschlusses. Wenn ich mir heute anschaue, was die neue Liga alles bringen sollte – es ist wenig davon eingetreten. Der Abstand zur HBL hat sich nicht deutlich verringert, wir haben keinen Ligasponsor und die 2. Liga fungiert noch immer nicht im ausreichenden Maße als Ausbildungsliga, da viele Erstligavereine ihre jungen Talente nicht ziehen lassen. Wir würden in Aue gerne mehr auf junge, deutsche Spieler setzen. Doch ich will nicht weiter meckern, denn sportlich gesehen finde ich die Liga gut. Insgesamt gesehen war es wohl der richtige Schritt, alles andere wäre vielleicht ein Rückschritt.“

Was beim EHV Aue auffällt - sie setzen stark auf den isländischen Handball. Insgesamt fünf Spieler sowie der Trainer kommen von der Insel im Nordatlantik.
Rüdiger Jurke: „Ich finde, dass die Isländer von der Mentalität her gut zu uns passen. Sie sind ein ehrlicher Schlag Mensch und stehen zu ihrem Wort. Sie sind sehr ehrgeizig, manchmal muss ich sie sogar bremsen. Als wir einen ausländischen Trainer verpflichten wollten, stand fest, dass es ein skandinavischer Trainer sein sollte. Ich habe in Eisenach Erkundigungen über Runar Sigtryggsson eingeholt, weil er dort schon als Spieler tätig war. Er wurde mir sehr empfohlen. Ich wollte damals auch seinen Bruder als Spieler zum EHV holen. Da habe ich mir gedacht: Wenn ich Runar verpflichte, dann ist die Chance gegeben, dass auch Arni Thor Sigtryggsson den Weg ins Erzgebirge findet.“

Doch nur auf ausländische Profis zu setzen, kann nicht das Ziel des EHV Aue sein, oder?
Rüdiger Jurke: „Ich finde es super, wie sich unsere jungen Spieler entwickeln. Wir sind in der A-Jugend-Bundesliga vertreten und werden im Sommer drei Jugendliche in unseren Zweitligakader hochziehen. Wir haben immer wieder gute Spieler ausgebildet, die dann nach Berlin, Magdeburg oder Leipzig gehen. Dafür bekommen wir leider keine Ausbildungsentschädigung – außer Spesen nichts gewesen. So auch im Fall Marvin Sommer. Es war klar, dass sein Weg in die 1. Bundesliga führt. Ich freue mich, dass er nach Leipzig geht. Karsten Günther ist ein Freund von mir und er leistet dort gute Arbeit. Für mich ist es das normalste der Welt, das talentierte Spieler in die HBL wollen. Was mich allerdings nervt, dass schon bei Jugendmeisterschaften Spielerberater auftauchen. Muss es diesen Beruf geben? Als Manager tun mir diese zusätzlichen Kosten weh. Meinen Spielern sage ich immer: Ich kann das Geld nur einmal ausgeben. Da kommen Spieler, die ich ausgebildet habe, mit einem Spielerberater um die Ecke.“

Herr Jurke, vielen Dank für das Interview.


Foto/-montage: Dieter Dorn - Heike Zasche


Autor: Max Sander

Magazin

Reportagen hinter der Seitenlinie

Neueste Einträge