Die Handball-Bundesliga – oft betitelt als die stärkste Handballliga der
Welt. Die Spitzenclubs spielen neben dem Kampf um die nationale
Meisterschaft regelmäßig auch um die Handballkrone Europas. Was die Liga
aber so faszinierend erscheinen lässt, ist das handballerische
Spitzenniveau bis in die untere Tabellenregion. Das ist in Europa
einmalig. Die Vereine der HBL können dank ihrer Millionen-Etats einer
illustren Ansammlung von Nationalspielern eine Arbeitstelle anbieten,
zudem wurde in den letzten Jahren reichlich Geld in Strukturen und
Sportinfrastruktur investiert.Diese elitäre Gesellschaft hat in den
vergangenen Jahren kaum Zuwachs bekommen. Ausnahmen wie GWD Minden oder
der BHC bestätigen die Regel – wobei diese Vereine bei ihrem
Zweitliga-Intermezzo mit erstligareifem Personal zu Werke gingen.
Warum ist es für einen `normalen´ Aufsteiger so schwer, die 1.
Bundesliga zu halten? Für Klaus Elwardt, Geschäftsführer vom
Branchenprimus THW, ist der Sprung ins Oberhaus mit Risiken versehen:
„In der HBL gibt es eine ganz andere Spielstärke als in der 2. Liga. Ein
Aufsteiger braucht eigentlich Zeit, die erforderlichen Maßnahmen
umzusetzen, um für die 1. Liga gerüstet zu sein. Die Überlegung muss
lauten: In was investiere ich - Mannschaft, Halle und Umfeld? Es ist
sicherlich ein Wagnis aufzusteigen. Beispiel Neuhausen: Nach einem Jahr
sind die wieder abgestiegen und deren Leistungsträger haben Blut geleckt
und gehen zu anderen HBL-Vereinen.“ Sollen arrivierte Zweitligisten
ohne entsprechend finanziellem Background also ganz die Finger vom Thema
Aufstieg lassen? Auf der Suche nach Antworten lohnt ein Blick hinter
die Kulissen der `kleinen´ Erstligaclubs.
Die HSG Wetzlar ist so ein Verein, der sich seit 16 Jahren
erfolgreich in der HBL behauptet. Der Verein entstammt den beiden
Stadteilvereinen TSV Dutenhofen und TV Münchholzhausen, die im Jahre
1992 eine gemeinsame Bundesligamannschaft unter dem Namen HSG ins Rennen
schickten. Die wohl größten Erfolge feierte der Verein aus der etwas
mehr als 50.000 Einwohner zählenden hessischen Kreisstadt im Jahr 1997,
als der damalige Zweitligist sensationell das DHB-Pokalfinale erreichte.
Das Finale gegen den TBV Lemgo ging zwar verloren, doch als Vize gelang
der Sprung in den Europapokal. Dort wurde ein Jahr später Geschichte
geschrieben, denn noch nie zuvor erreichte ein Zweitligist ein
europäisches Finale, in dem sich die Hessen dem spanischen Spitzenclub
CB Santander geschlagen geben mussten. Fast zeitgleich gelang der
Aufstieg in die Handball-Bundesliga. Diese Erfolge sind eng mit dem
Namen Rainer Dotzauer verbunden, der nach erfolgreichen Jahren auf der
Trainerbank im Aufstiegsjahr ins Management des Vereins wechselte und in
Velimir Petković einen passenden Nachfolger fand. „1998 war das
Bundesligafundament bei der HSG durch die vorherigen Erfolge schon
vorhanden. Der Verein hatte zwar den geringsten Bundesliga-Etat, konnte
aber mit Zugpferd Markus Baur den Klassenerhalt sichern. In den
folgenden Jahren haben sich Mannschaft und Umfeld stetig
weiterentwickelt“, erinnert sich Gennadij Chalepo gerne an seine aktive
Zeit als Spieler von 2000 bis 2005 zurück. Doch nicht nur als Spieler
kennt der gebürtige Weißrusse mit deutschem Pass die HSG: „2009 bin ich
als Trainer der 2. Mannschaft in Wetzlar eingestiegen, habe zudem den
Job des Jugendkoordinators übernommen. Als der Verein im Jahr 2010
finanziell am Abgrund stand und Michael Roth von sich aus das Traineramt
niederlegte, wurde das intern gelöst und ich hatte in den folgenden
Jahren die Verantwortung für das Bundesligateam.“ Gleichzeitig wurden
mit den Aufsichtsratmitgliedern Manfred Thielmann und Martin Bender
sowie Geschäftsführer Björn Seipp neue Leute installiert, die den Verein
wirtschaftlich wieder in ruhigeres Fahrwasser geleiteten. Wichtiger
Baustein im Finanzkonzept spielt die 2006 eröffnete Rittal-Arena. Zu
Anfang mit viel Skepsis versehen, ist das “Schmuckkästchen“ heutzutage
nicht nur bei den Spitzenspielen mit über 4.400 Zuschauern ausverkauft.
Die Auslastung liegt in dieser Spielzeit bei über 90 %.
Der wohl wichtigste Erfolgs-Baustein der Mittelhessen aber ist die
exzellente Jugend- und Anschlussförderung. „Schon immer hatte die HSG
eigene Jugendspieler in ihren Reihen. Sie sind immer ihrer Linie als
Ausbildungsverein treu geblieben. Heute sind in vielen Vereinen Spieler
zu finden, die in Wetzlar den Sprung in die HBL geschafft haben. Als
Jugendkoordinator habe ich Spieler wie Kevin Schmidt oder Timm Schneider
betreut. In der letzten Saison ist die B-Jugend erst im Finale um die
Deutsche Meisterschaft an den Füchsen aus Berlin gescheitert, die
A-Jugend ist seit einigen Jahren fester Bestandteil der
Jugend-Bundesliga. Mein Sohn spielt in dieser Mannschaft, wechselt im
Sommer nach Hüttenberg, um über die 2. Liga vielleicht den Sprung nach
oben zu schaffen. Die Rivalen von einst kooperieren seit einiger Zeit in
Sachen Anschlussförderung. Vor kurzem haben die A-Jugendlichen beider
Vereine in einem Bus gesessen, um gemeinsam zum Rookie-Cup nach Berlin
zu fahren. Früher wäre das undenkbar gewesen“, so Gennadij Chalepo. Das
wohl bekannteste Gesicht der guten Anschlussförderung ist aktuell
Steffen Fäth. Der Junioren-Europa- und Weltmeister von 2008 und 2009
galt in jungen Jahren als der kommender Star, wurde als MVP gefeiert.
Unglückliche Jahre bei den Rhein-Neckar-Löwen ließen seinen Stern
sinken, ehe der Halblinke bei der HSG Wetzlar ein neues sportliches
Zuhause fand. „Für mich ist die HSG ein Verein, in der wirtschaftlich
und sportlich gut gearbeitet wird. Junge Spieler bekommen viele
Spielanteile und können sich dementsprechend entwickeln. In den nächsten
ein bis zwei Jahren wollen wir uns im Mittelfeld etablieren und
anschließend die EHF-Cup-Startplätze anpeilen. Wird aber schwierig“, so
der 24-Jährige, der es inzwischen auf 15 Einsätze in der
A-Nationalmannschaft gebracht hat.
Das in den nächsten Jahren weitere Spieler einen ähnlichen Weg wie
Steffen Fäth einschlagen, gilt als wahrscheinlich - bei dem Trainer.
Seit etwas mehr als zwei Jahren gibt Kai Wandschneider den sportlichen
Takt vor. In der Handballszene genießt der Diplom-Sportlehrer mit
hanseatischen Wurzeln einen ausgezeichneten Ruf, nachdem er mit dem TSV
Dormagen 2008 den Aufstieg in die 1. Liga schaffte und die Rheinländer
unter zum Teil schwierigen Voraussetzungen drei Jahre im Oberhaus halten
konnte. Spieler wie Kentin Mahé, Adrian Pfahl, Christian Nippes oder
Christoph Schindler konnten sich unter seiner Regie entwickeln.
Parallelen zur HSG sind deutlich zu erkennen. „Als Trainer bin ich es
gewohnt, immer wieder Leistungsträger an die finanzstarke Konkurrenz
abgeben zu müssen. Den Spielern kann ich keinen Vorwurf machen, wenn sie
sportlich und finanziell nach Höherem streben. Ich würde mir natürlich
auch ein wenig mehr Kontinuität wünschen, weil es nicht immer einfach
ist, eine neue Mannschaft zu formen. Dieses Jahr war mit Abstand die
härteste Saison meines Lebens, die mir alles abgefordert hat. Trotzdem
macht es unheimlich viel Spaß, hier zu arbeiten. Der Menschenschlag in
Mittelhessen gefällt mir. Wenn sie dich erst einmal in ihr Herz
aufgenommen haben, machen sie fast alles für dich. Das merkst du auch in
den Heimspielen. Wir haben ein unglaublich gutes Publikum. Selbst wenn
die Mannschaft enttäuschende Leistungen bringt, gibt es keine negative
Stimmung in der Halle. Das ist gerade für junge Spieler unglaublich
wichtig. Dann sind sie immer bereit, alles zu geben. Doch sie brauchen
auch die erfahrenen Mitspieler als Vorbilder, von denen sie gerade in
kritischen Situationen lernen können. Da stellt sich ein Spieler wie
Ivano Balić ganz in den Dienst der Mannschaft und macht in vielen
Spielen den Unterschied aus. Die Zusammenarbeit mit ihm ist ein Genuss.
Weltklassespieler wie er haben eine unheimlich gute Selbstwahrnehmung
und entscheiden sich intuitiv für das Richtige.“
Foto: Trainingshelden