Es galt als kleine Überraschung in der europäischen Handballszene, als die SG Flensburg-Handewitt im März 2017 verkündete, dass der damalige Co-Trainer Maik Machulla Nachfolger des `großen´ Ljubomir Vranjes wird. Derweil waren die Verantwortlichen im Verein schon länger vom aktuellen Shootingstar der deutschen Trainergilde überzeugt. „Als wir uns in der vergangenen Saison entschieden haben, Maik Machulla als neuen Chef-Trainer bei der SG Flensburg-Handewitt zu installieren, waren wir absolut davon überzeugt, dass er dieser Aufgabe gewachsen ist und haben ihn deshalb auch mit einem Drei-Jahres-Vertrag ausgestattet. Maik hat schon als Spieler viel Erfahrungen und etliche Erfolge sammeln können. Auch als Co-Trainer unter Ljubomir Vranjes konnte er sich in dieser Zeit viel Handball-Wissen aneignen und hat uns in seiner täglichen Arbeit im Verein überzeugt. Maik war unsere erste Option. Es gab zwar auch Kontakte zu anderen Trainern, bei sämtlichen Gesprächen war er stets mit eingebunden. Als Trainer hat er großes Potential und die Fußstapfen, die Ljubo hinterlassen hat, waren nicht zu groß für ihn. Zu Saisonbeginn oder im Monat Dezember hatte er kritische Phasen zu überstehen, in denen wir ihm den Rücken gestärkt haben. Unser Vertrauen in ihn hat er bestätigt“, so SG-Geschäftsführer Dierk Schmäschke. Deutscher Meister – nicht die schlechteste Form der Vertrauensbestätigung.
Hallo Herr Machulla, mussten Sie sich oder ihre Frau Sie in den letzten Tagen nicht so manches Mal kneifen, um zu begreifen: Das ist ja ganz real, ich bin als Trainer mit der SG Flensburg-Handewitt Deutscher Meister geworden?
Maik Machulla: „Meine Frau und ich haben uns schon gefragt, wie unglaublich viel an Tempo meine Trainer-Laufbahn im vergangenen Jahr aufgenommen hat. Damals, als die Entscheidung anstand, den Trainerjob bei der SG zu übernehmen, habe ich mich lange mit ihr beraten. Es erfordert Mut, als junger Trainer bei seiner ersten Station die sportliche Verantwortung bei einem europäischen Top-Club zu übernehmen. Das hätte auch nach hinten losgehen können und meine Karriere würde dann wohl anders verlaufen. Doch nach Abwägung aller Für und Wider waren wir uns am Ende einig, dass wir die große Chance angehen sollten. Jetzt bin ich natürlich froh, diesen Mut aufgebracht zu haben und dafür belohnt worden zu sein. Wir sind Deutscher Meister und das Ganze kommt mir im Moment wie ein großer Traum vor. Über die gesamte Saison betrachtet waren wir sehr konstant und haben aus kritischen Phasen - gerade zu Beginn mit den Niederlagen in Hannover und Leipzig - die richtigen Schlüsse gezogen. Ich habe bei einigen Dingen, die ich zu Saisonbeginn neu eingeführt habe, ein wenig das Tempo rausgenommen und diese anschließend Schritt für Schritt ans Laufen gebracht. Ab Weihnachten lief es dann sehr konstant. Ich finde, dass wir bis auf das Viertelfinal-Rückspiel in Montpellier auch in der Champions League einen guten Job gemacht haben. Und in der Meisterschaft haben wir immer an unserer Chance geglaubt, so lange es rechnerisch möglich war und die Rhein-Neckar-Löwen patzen würden. Das ist eingetreten. Das Schlüsselspiel für uns war der Sieg in Kiel – kurz nach der deutlichen Niederlage in Montpellier. Da hat meine Mannschaft eine tolle Reaktion und ihr wahres Gesicht gezeigt. Aber unbestritten gehört auch ein Quäntchen Glück dazu, um Deutscher Meister zu werden.“
Wie gehen Sie aktuell mit dem Medienrummel um?
Maik Machulla: „In der Summe war das in den vergangenen Tagen schon recht viel, was da auf mich zugekommen ist. Aber für mich ist das nicht ganz neu, denn schon als Spieler stand ich häufiger im Fokus der Medien. Als Person der Öffentlichkeit gehört das zu meinem Job dazu. Ich habe für mich eine Art und Weise gefunden, damit umzugehen. Und ich mache das auch gerne – und nach so einem Erfolg wie im Moment umso mehr.“
Was auffällt: Die SG hatte im Gegensatz zu den vorherigen Spielzeiten deutlich weniger Verletzte zu beklagen. Gibt es dafür eine Erklärung?
Maik Machulla: „Es gibt im Handball viele Situationen, in denen das Risiko einer Verletzung hoch ist. Wenn dir ein Gegenspieler mit vollem Tempo ins Knie fährt, bringt das beste Krafttraining als Profilaxe vor möglichen Bänderrissen und Frakturen nichts. Anders sieht es bei muskulären Problemen aus. Ich habe mit Michael Döring den Athletiktrainer der Flensburg Akademie ins Profiteam geholt und wir haben schon in der Vorbereitungszeit die Trainingspläne auf aktive Regeneration umgestellt. Michael und ich kennen uns schon lange und die Zusammenarbeit mit ihm passt sehr gut. Meine Spieler haben sich sehr schnell auf diesen für sie neuen Ansatz eingelassen und sind mit ihm warm geworden. Wir haben in der vergangenen Saison mehr trainiert als früher, einige Spieler haben gar freiwillig im Kraftraum zusätzliche Einheiten geschoben. Das hat wohl dazu geführt, dass wir in den vergangenen Monaten von einigen Verletzungen verschont geblieben sind und zum Ende hin 16 einsatzbereite Spieler im Kader hatten. Aber zum Ganzen gehört natürlich auch ein wenig Glück.“
Neben dem Athletiktraining gelten im Profisport die Sportpsychologie und die Ernährungsberatung als weitere Bausteine, in dem Sportler ihr individuelles Leistungsvermögen noch merklich steigern können.
Maik Machulla: „Ich bin Handballtrainer und auf bestimmten Gebieten des Sports ist mein Wissen natürlich begrenzt. Deshalb ist es wichtig, mit Experten zusammenzuarbeiten. Ich habe einen Mentaltrainer mit ins Boot geholt, der für meine Spieler und mich als ständiger Ansprechpartner zur Verfügung steht. Mir war wichtig, dass die Mannschaft zu Saisonbeginn mit ihm ein langes Gespräch führt. Einige meiner Nationalspieler nutzen auch den Mentalcoach in deren Nationalmannschaft. Das funktioniert in der Muttersprache vielleicht auch am besten. Klar ist auch, dass eine ausgewogene Ernährung leistungsförderlich ist. Aber ich möchte da als Trainer nichts diktieren, sondern kann es meinen Spielern nur anbieten. Profihandballer sind heutzutage doch sehr auf ihre sportliche Karriere fokussiert und hören in der Regel gut auf ihren Körper.“
Sie haben in einem Interview erwähnt, dass auch Ljubomir Vranjes Anteil an diesem Titel hat. Wie hoch ist dieser am jetzigen Erfolg?
Maik Machulla: „Schwierig zu beantworten. Die Struktur meiner Mannschaft war und ist intakt, in den vergangenen Jahren ist die spielerische Qualität konstant auf hohem Niveau gehalten worden. Ljubo fehlte als Trainer der SG vielleicht ein wenig das Glück, das es auch braucht, um die Meisterschaft zu gewinnen. Insgesamt hat er bei uns hervorragende Arbeit geleistet. Als sein Wechsel nach Veszprém feststand, bestand bei der SG der Wunsch, seine Philosophie fortzuführen. Diese typische Art des skandinavischen Handballs: aus einer sicheren Deckung heraus mit viel Tempo auch über die Außen zum Erfolg. Und da ich über Jahre mit Ljubo zusammengearbeitet habe, hat mir der Verein ein Angebot unterbreitet. Meine Aufgabe war es also, das bewährte Konzept fortzuführen. Zudem galt es zu Saisonbeginn, neue Spieler in ein funktionierendes System zu integrieren und gleichzeitig die `alten´ Spieler bei Laune halten. So ist es doch in jedem Verein, wenn ein neuer Trainer kommt. Wichtig ist, der Mannschaft neue Impulse zu geben, neue Reize zu setzen und seine Ideen umzusetzen. Natürlich war das Team in den letzten Jahren sehr gut zusammengestellt und hat sehr gute Ergebnisse erzielt. Die vergangene Saison mit ihren 55 Spielen war trotz Höhen und Tiefen von einer enormen Konstanz geprägt. Wir haben uns Woche für Woche weiterentwickelt. Man kann sagen: Mannschaft und Trainer - das hat gepasst. Der Titelgewinn ist das Resultat unserer konstanten Entwicklung.“
Gab es weitere Trainer, die ihre Karriere als Spieler und Trainer maßgeblich geprägt haben?
Maik Machulla: „Ich war schon während meiner Spielerkarriere am Trainerjob interessiert und habe viele Dinge mitgeschrieben, um sie für mich nutzen zu können. Schon als Spieler hatte ich den Wunsch, nach meiner aktiven Laufbahn dem Handball verbunden zu bleiben und so habe ich früh damit begonnen, bestimmte Trainerscheine zu machen. Als Spieler hat mich Alfreð Gíslason immer sehr beeindruckt. Mit ihm habe ich damals die Deutsche Meisterschaft und die Champions League gewonnen. Er hat eine klare Vorstellung vom Handball und diese wird ohne Wenn und Aber durchgezogen. Ein weiterer Trainer, der mich sehr geprägt hat, war Kent-Harry Andersson. Im Gegensatz zu Alfreð ein sehr ruhiger Trainer. Fachlich sehr kompetent und angenehm im Umgang mit seinen Spielern. Sein Nachfolger bei der HSG Nordhorn war Ola Lindgren, der allein aufgrund seiner aktiven Karriere für mich ein Vorbild war. Aber auch als Trainer hat er einen sehr guten Job gemacht. In dieser Reihe darf natürlich auch Ljubomir Vranjes nicht fehlen, der mich in seiner Art an Alfreð Gíslason erinnert. Sehr akribisch in seiner täglichen Arbeit, klar und strukturiert in seinen Anweisungen. Von ihm habe ich gelernt: Wer viel gibt, kann viel zurückbekommen.“
Ich führe des Öfteren Interviews mit Handball-Trainern. Da geht es auch um Vorbilder außerhalb des Handballs. Für Kai Wandschneider von der HSG Wetzlar ist Phil Jackson, ehemaliger Trainer der Chicago Bulls in Sachen Teambuilding und Leadership ein Vorbild. Und Daniel Kubeš vom TV Emsdetten ist beeindruckt vom Nachwuchskonzept des US-amerikanischen Football-Trainers Nick Saban, der mit seinen College-Mannschaften diverse Meisterschaften feiern konnte. Wer inspiriert Sie in ihrer täglichen Arbeit von außerhalb des Handballs?
Maik Machulla: „Konkret kann ich keinen Namen nennen. Ich beobachte sehr viel die Trainer in den verschiedenen Sportarten und lerne dabei auch das ein oder andere. Aber wichtig ist es doch, authentisch zu sein und an sein Konzept zu glauben. Und da muss jeder Trainer seinen eigenen Weg finden. Ich kann ja nicht einen Jürgen Klopp imitieren, weil ich das einfach nicht bin. Mich beeindruckt die Arbeit von Pep Guardiola, der mit einer klaren Philosophie seine Vorstellungen von Fußball umsetzt und damit bei neuen Vereinen schnell Erfolge feiern konnte. In meinem ersten Jahr als Trainer bei der SG habe ich jeden Tag dazugelernt - auch von erfahrenen Spielern wie Tobias Karlsson und Thomas Mogensen. Wenn du ins `kalte Wasser´ gestoßen wirst, lernst du jede Menge. Wichtig ist es, selbstkritisch Dinge zu hinterfragen. Das mache ich aktuell, in dem ich die vergangene Saison Revue passieren lasse und mich frage: Was war gut? Was kann ich bzw. können wir besser machen?“
Für mich als Westfalen, der nicht aus Schleswig-Holstein zu Hause ist: Was ist das Besondere an der SG Flensburg-Handewitt und der Region?
Maik Machulla: „Trotz des Fußballs ist Schleswig-Holstein Handball-Land. Was hier in den Arenen in Flensburg und Kiel los ist, ist schon unglaublich. Dazu die Rivalität zwischen den beiden Vereinen. Im Gegensatz dazu ist der Handball in Nordrhein-Westfalen fast Randsportart. Auch ist hier oben im Norden das Engagement der Sponsoren überdurchschnittlich, so dass hier zwei internationale Top-Mannschaften wenige Kilometer voneinander entfernt existieren können. Das Anspruchsdenken bei den Vereinen ist sehr hoch. Dabei geht in Flensburg alles sehr familiär zu. Neben dem Fokus auf das Sportliche wird im Verein viel Wert auf das Wohl der Spieler und deren Familien gelegt. Es wird sich darum gekümmert, dass den Spielerfrauen passende Jobs – teils in Dänemark – angeboten und für deren Kinder Kita-Plätze gefunden werden. Zudem lässt es sich in Flensburg und Umgebung gut leben. Das alles trägt zum Wohlfühlfaktor bei, so dass sich meine Spieler voll und ganz auf den Handball konzentrieren können. Hinzu kommt der skandinavische Faktor. Die SG ist ein Verein der ganzen Region, und diese geht über die Landesgrenzen hinaus. Viele meiner Spieler kommen aus Dänemark, Schweden und Norwegen, können in Flensburg Handball auf internationalem Topniveau spielen, ohne den Bezug zur Heimat zu verlieren. Die Skandinavier sind sehr angenehm in ihrem Auftreten, bei der täglichen Arbeit verbinden sie Zielstrebigkeit mit einer gehörigen Portion Spaß.“
Ein Blick in die Zukunft: Nach der Sommerpause starten Sie Mitte Juli in die Vorbereitung auf die neue Saison. Mit einer Mannschaft, die sechs Abgänge von gestandenen Routiniers zu verkraften hat und in der sechs Neuzugänge, für die Bundesliga zum Teil Neuland ist, zu integrieren sind. Inwiefern spüren Sie schon jetzt den Druck, als aktueller Deutscher Meister diesen Umbruch schnell bewerkstelligen zu müssen, um wieder ganz oben mitzuspielen?
Maik Machulla: „Aktuell spüre ich keinen Druck, da ich mich im Urlaub befinde. Da ich aber nie so richtig vom Handball abschalten kann – vielleicht ein Fehler von mir - mache ich mir natürlich so meine Gedanken, wie das Ganze zu bewerkstelligen sein wird. Ein Umbruch, den wir gezwungen sind zu gehen, da uns etliche Leistungsträger wie Mattias Andersson verlassen haben. Klar ist, dass wir unser System verändern müssen, denn es gilt mit Benjamin Buric und Torbjörn Bergerud gleich zwei neue Torhüter ins Team zu integrieren. Das wird die größte sportliche Herausforderung sein. Daneben wird es meine Hauptaufgabe sein, Druck von unseren Neuzugängen zu nehmen. Diese spielen jetzt beim Deutschen Meister und in der kommenden Saison auch in der Champions League. Da kommt Vieles an Veränderungen auf sie zu. Unsere neuen skandinavischen Spieler sind es nicht gewohnt, zu einem Auswärtsspiel mehr als vier Stunden mit dem Bus zu reisen. Dazu kommen die Übernachtungen im Hotel. Ich muss also gerade den jungen Spielern entsprechend Zeit geben, sich an das Neue gewöhnen, um sich weiterentwickeln zu können. Insgesamt freue ich mich auf diese Herausforderung, denn wir werden eine spannende Truppe beisammen haben. Dieser frische Wind wird meine Mannschaft beleben. Doch Verein und Fans müssen ihre Erwartungen hinsichtlich der neuen Saison zurückschrauben.“
Zum Schluss die Frage: Wie finden Sie es, dass Trainer Ljubomir Vranjes mit Kentin Mahé und Rasmus Lauge schon zwei Weltklassespieler von Flensburg nach Veszprém gelotst hat?
Maik Machulla: „Bei Kentin Mahé ist es ja so, dass er uns schon zu einem Zeitpunkt, als noch gar nicht feststand, dass Ljubomir nach Veszprém wechselt, mitgeteilt hat, dass er die SG Flensburg-Handewitt verlassen möchte. Und dass Rasmus Lauge uns verlässt, ist natürlich sehr schade und wir bedauern das sehr. Er hat fantastische Qualitäten und ist damit eine Bereicherung für jede Mannschaft. Das Ljubomir ihn nach Veszprém holt, ist eine logische Konsequenz. Rasmus kennt das System und passt perfekt in seine Philosophie so wie er auch perfekt in die unsere passt. Wir möchten unsere Spieler gerne in Flensburg entwickeln und langfristig an uns binden, aber manchmal kommen wir auch an Grenzen gegenüber den großen europäischen Top-Clubs. Das müssen wir dann so akzeptieren.“
Herr Machulla, vielen Dank für das ausführliche Interview und in den kommenden Wochen gute Erholung.
Fotos: Max Sander - SG Flensburg-Handewitt