Hallo Frau Braun-Lüdicke, wie sind Sie zum Handball und der MT Melsungen gekommen?
Barbara Braun-Lüdicke: „Ich bin in Melsungen geboren, später dann zum Studium nach Göttingen gezogen. Dort habe ich meinen späteren Mann kennen gelernt. Als dieser dann als Jurist in Hannover gearbeitet hat, haben wir sieben Jahre in der Landeshauptstadt gelebt. Dann ging es zurück nach Melsungen. Gegen Ende der 80er Jahre hat mir ein Cousin – er war dienstlich verhindert - seine MT-Dauerkarte in die Hand gedrückt und gemeint: Willst du nicht mal hingehen? Bis dato hatte ich mit Ballsport nichts am Hut, konnte mit einem Ball nicht umgehen, weder gescheit werfen noch fangen. Mein erstes Heimspiel hat mir gefallen, weitere Besuche folgten und nach einer halben Saison war ich vom Handball-Virus befallen. Zur Saison 1990/91 hatte ich dann meine eigene Dauerkarte.“
Was fasziniert Sie am Handball bzw. der Handball-Bundesliga? Welche besonderen Momente und Personen gehen Ihnen dabei durch den Kopf?
Barbara Braun-Lüdicke: „Es ist eine unheimlich schnelle Sportart mit viel Aktion und Spannung. Und: Es gibt kein Abseits wie im Fußball! Was diese Regel soll, entzieht sich meiner Kenntnis. An der HBL fasziniert mich, dass die Liga sehr ausgeglichen ist. Man kann sich nie sicher sein, wie das Spiel ausgeht. Gerade die aktuelle Saison zeigt doch, dass jeder jeden schlagen kann.
Im Gedächtnis hängen geblieben sind mir im Laufe der Jahre viele spannende Spiele der MT Melsungen. Im Besonderen das Viertelfinale im DHB-Pokal gegen Eisenach, das wir nach zweimaliger Verlängerung für uns entscheiden konnten. Was mich an der Liga noch beeindruckt, sind die vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten und ihre oft total unterschiedliche Herangehensweise an den Profihandball. Ganz besonders Rastislav Trtík, der damals bei uns einen wahnsinnig schnellen Handball eingeführt hat. Da mussten wir als Außenstehende neu zuschauen lernen. Auch Cveba Horvat hat bei uns als Trainer einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Und Michael Roth ist für unseren Verein sowieso ein absoluter Glücksgriff.“
Im Jahr 2005 stieg die MT Melsungen in die 1. Bundesliga auf, seitdem ging es fast kontinuierlich bergauf. Wie sehen Sie rückblickend diese Entwicklung?
Barbara Braun-Lüdicke: „Sportlich gab es viele Höhepunkte, aber auch einige Rückschläge. 2010 sind wir mit 0:22 Punkten in die Saison gestartet, bevor Michael Roth die sportliche Leitung übernommen hat. Nach zwei weiteren Niederlagen zum Auftakt seiner Arbeit haben wir dann in der Abschlusstabelle aber noch einen Mittelfeldplatz belegt. Die Entwicklung der Mannschaft verlief Schritt für Schritt, von Jahr zu Jahr hat sich die sportliche Qualität gesteigert. Heute haben wir große Spielerpersönlichkeiten in unseren Reihen, die aber nur als Team, das an einem Strang zieht, erfolgreich sein können. Als wir in der letzten Saison den vierten Platz belegen konnten und uns damit für den Europapokal qualifiziert haben, bin ich vor Stolz fast geplatzt.
Das Umfeld musste in all den Jahren natürlich mitwachsen. Es war eine total spannende Zeit, aus einem Verein ein Handballunternehmen zu machen. Wir sind organisch gewachsen, haben dabei nie etwas über das Knie gebrochen. Wenn ich daran zurückdenke, wie wir damals in der 2. Liga in unserer Geschäftsstelle alle in einem Raum zusammengehockt und gearbeitet haben. Die gesamten Bereiche wie Ticketsystem, Marketing, medizinische Abteilung und so weiter wurden im Laufe der Zeit professionalisiert. Mit viel Ehrenamt alleine ist das heute nicht mehr zu leisten. Dazu war die Verpflichtung von Axel Geerken als hauptamtlichen Geschäftsführer ein Volltreffer.“
Handballdörfer wie Großwallstadt, Lübbecke und etliche andere verlieren immer mehr an Bedeutung. Großstädte wie Leipzig, Stuttgart oder Erlangen/Nürnberg haben Einzug gehalten in der HBL. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Warum `widersteht´ Melsungen diesem Trend?
Barbara Braun-Lüdicke: „Auch wir sind vor einigen Jahren in die Großstadt Kassel gegangen. In der Rückschau betrachtet war dieser Schritt richtig, auch wenn wir dort mit Startschwierigkeiten zu kämpfen hatten. Wir merken am Altersdurchschnitt unserer Zuschauer, dass Handball als junge Sportart wahrgenommen wird. Kassel ist eine Universitätsstadt mit 200.000 Einwohnern, in deren Umkreis noch einmal etwa die gleiche Anzahl an Personen leben. Das ist unser Einzugsgebiet, aus dem Handballfans den Weg zu uns in die Rothenbach-Halle finden. Der Zuschauerandrang zu unseren Heimspielen hat sich im Laufe der Jahre erfreulich entwickelt. Die Nähe der Zuschauer zum Spielfeld und den Akteuren macht den Reiz unserer Sportart aus und sorgt für gute Stimmung in der Halle. Wenn sie einen Nordhessen während eines Spiels in Wallung bringen, das heißt schon etwas. Andere Großstädte mit einem größeren Zuschauerpotential können mit einer größeren Halle sicherlich noch mehr bewegen. Aber mir ist es lieber, wir spielen vor 4.300 Zuschauern in der ausverkauften Rothenbach-Halle als in einer nur halbvollen Riesen-Arena.
Warum es Vereine wie der TV Großwallstadt nicht geschafft haben, die Liga zu halten, kann ich abschließend aus der Ferne natürlich nicht beurteilen. Oft ist es ein Zuviel an Tradition, das Vereine daran hindert, neue Wege einzuschlagen, um ein sportlich hohes Niveau zu sichern. In der Handball-Bundesliga hat sich in den letzten Jahren viel verändert, der Sport hat heute mehr Eventcharakter. Mit schlichtem Handball holst du heute keinen mehr hinter dem Ofen hervor.“
Stichwort Kassel. Seit 2007 trägt die MT Melsungen dort ihre Heimspiele aus. Wie kam es dazu? Gab es auch Ideen in Sachen Hallen-Neubau in Melsungen?
Barbara Braun-Lüdicke: „Herr Umbach, Betreiber der Messe Kassel, veranstaltet zweimal im Jahr eine Regionalausstellung. Zu einer dieser wurde unsere Mannschaft im Jahr 2007 eingeladen. Auf dem Messegelände befindet sich auch die Rothenbach-Halle. Unser damaliger Trainer Robert Hedin meinte damals: Hier können wir doch mal Handball spielen. Bis dato hatten wir seit unserem Aufstieg zwei Jahre zuvor die bundesligataugliche Halle in Rothenburg genutzt. Das Projekt `Umzug´ haben wir dann in Angriff genommen und am 27.12. mit dem Spiel gegen den THW Kiel vor ausverkauften Rängen in Kassel in die Tat umgesetzt. Das war eine Riesen-Herausforderung, denn in dieser vollkommen leeren Messehalle gab es nichts. Ob Tribünen, Kabinen, Licht oder Ton – alles musste für dieses Spiel dort neu installiert werden. Bis heute sind wir der einzige Bundesligaverein, der in der Halle keinen Dopingtest-Raum zur Verfügung hat. Dafür steht an der Halle extra ein Wohnmobil zur Verfügung.
In den folgenden Jahren gestaltete es sich schwierig, die Kasseler und die Menschen der Region in großer Zahl in der Halle zu bekommen. Mit dem sportlichen Erfolg konnten wir aber Schritt für Schritt unseren Zuschauerschnitt steigern. Dazu waren auch die Kooperationen mit Schulen, an denen unsere Spieler und Trainer mit den Kindern und Jugendlichen viele Übungseinheiten durchgeführt haben, wichtig. Es gab auch Überlegungen, den Namen Kassel mit in unseren Vereinsnamen aufzunehmen und die Diskussion darüber ist noch nicht abgeschlossen. Ich persönlich glaube aber nicht, dass uns eine Namensänderung alleine ein Mehr an Zuschauern in die Halle bringt. Auch ein Hallenneubau in Melsungen war Thema im Verein. Aber hier vor Ort gibt es schlicht keinen geeigneten Standort.“
Aktuell läuft die MT Melsungen den sportlichen Erwartungen hinterher, mit aktuell Platz 7 bei 8:10 Punkten läuft es noch nicht wirklich rund. Worin sehen Sie die Gründe für den überraschend schwachen Saisonstart?
Barbara Braun-Lüdicke: „Ich glaube, dass wir nach dem Erfolgen in der Vorsaison im Sommer ein wenig zu lange auf der Euphoriewelle geschwommen sind. Dann wurde das erste Spiel der neuen Saison nicht mit dem nötigen Ernst angegangen und zu Hause gegen Coburg setzte es die erste Niederlage. Die Spieler spürten dann eine Verunsicherung, wollten es im nächsten Spiel besonders gut machen, doch es wurde noch verkrampfter. Zudem stand uns mit Johan Sjöstrand die etatmäßige Nr. 1 längere Zeit verletzungsbedingt nicht zur Verfügung.
Aber ich bin da ziemlich gelassen, was den weiteren Verlauf der Saison angeht. Wer wie wir einmal mit 0:26 Punkten in die Saison gestartet ist, den kann so schnell nichts erschrecken. Da halt ich es doch lieber mit dem ADAC-Spruch: Immer hübsch die Ruhe bewahren.“
Trotz verpasstem Saisonstart konnte Ihr Verein in den vergangenen Monaten mit der Verpflichtung von Tobias Reichmann und Finn Lemke auch für positive Schlagzeilen sorgen. Wo soll die sportliche Reise in den nächsten Jahren hingehen?
Barbara Braun-Lüdicke: „Mittelfristig wollen wir Champions League spielen und uns bei den Großen in der HBL etablieren. Auch die Deutsche Meisterschaft ist ein Ziel. Doch dazu muss alles passen und wir müssen Mannschaften wie Kiel oder Flensburg – wie in der vergangenen Saison – erfolgreich Paroli bieten. Michael Roth soll in den nächsten vier bis fünf Jahren eine Mannschaft entwickeln, die in der Lage ist, ganz oben anzugreifen. Dazu haben wir mit Tobias Reichmann und Finn Lemke zwei Hochkaräter verpflichtet, die uns auf dem Weg dahin voranbringen werden.“
Offiziell sind Sie bei der MT Melsungen die Aufsichtsratsvorsitzende. Doch wie man hört, machen Sie weit mehr im Verein. Können Sie Ihren Tätigkeitsbereich näher skizzieren?
Barbara Braun-Lüdicke: „Das kann man nicht beschreiben. Angefangen habe ich damals zu Beginn meiner Tätigkeit in der Geschäftsstelle mit dem Karten abreißen.“ Sie überlegt - und ruft dann ins nebenan liegende Büro: „Axel, was mache ich hier eigentlich?“ Axel Geerken betritt den Raum: „Barbara ist meine und unser aller Chefin. Vor allem aber ist sie der gute Geist der MT.“ Und Barbara Braun-Lüdicke ergänzt: „Seitdem Axel hier ist, komme ich nicht mehr täglich in die Geschäftsstelle. So ein Handball-Unternehmen zu führen ist ein Vollzeitjob. Ich komme ein- bis dreimal pro Woche hier ins Büro, damit wir uns abstimmen können. Axel Geerken und ich haben einen guten Draht zueinander. Das hilft, schnell Entscheidungen zu treffen.“
Neben Ihrem Engagement sind Sie bekannt dafür, sich stark für Melsungen und die Region einzusetzen. Woher kommt dieser Antrieb?
Barbara Braun-Lüdicke: „Das ist angeboren und ich kenne es nicht anders. Meine Familie ist in Melsungen sehr verwurzelt und ich bin mit dem Unternehmen B. Braun groß geworden. Schon meine Großeltern und Eltern waren für das Rote Kreuz, etliche Sportvereine sowie caritativen Einrichtungen in Melsungen und Umgebung aktiv. Ich kann mir gar nicht vorstellen, nicht in dieser Weise tätig zu sein. Wenn einer wie ich das Glück hat, finanziell so ausgestattet zu sein, dann sehe ich es für mich als selbstverständlich an, der Gesellschaft auch etwas zurückzugeben.“
Stichwort Sponsoring – Welchen Wert hat das Sponsoring für die B. Braun Melsungen AG?
Barbara Braun-Lüdicke: „Das Unternehmen hat - seitdem ich denken kann - den Sport in Melsungen gefördert und unterstützt die MT seit Oberligazeiten. Ob in München oder in `Pusemuckel´, den Namen B. Braun kennt man aus dem Krankenhaus. Seit der Handball-WM 2007, als wir mit unserem grünen Namenszug auf den Handtüchern der Nationalspieler standen und diese sich vor laufenden Kameras den Schweiß aus dem Gesicht gewischt haben, verbindet man unseren Namen auch mit Handball. Für uns hat das Sponsoring aber wenig Werbeeffekt und wir sehen es mehr als unsere soziale Verantwortung an. Wir möchten junge Menschen auf ihrem beruflichen Weg mit einer guten Ausbildung ein Stück weit begleiten. Zudem macht es unsere Mitarbeiter natürlich auch stolz, in Melsungen einen erfolgreichen Erstligisten zu haben. Für diese haben wir auch gewisse Karten-Kontingente für die Heimspiele zur Verfügung. Ich bin zwar nicht im operativen Geschäft unserer Firma tätig, weiß aber, dass in Geschäftsmeetings beim anschließenden Small-Talk auch Handball ein Thema sein kann und bei Interesse auch Kunden mit zum Heimspiel kommen. Auch kommt es vor, dass der Vorstand sich nach einer Sitzung geschlossen auf den Weg Richtung Halle macht. Insgesamt gibt es einen regen Austausch zwischen Firma und MT. Das ist im Laufe der Jahre gewachsen.“
Die Jugendarbeit ist in den Fokus Ihres Vereins gerückt, seit zwei Jahren sind die A-Junioren in der Jugend-Bundesliga vertreten. Mit Jugendnationalspieler Johannes Golla hat ein Eigengewächs den Sprung nach oben geschafft.
Barbara Braun-Lüdicke: „Bis zu einem gewissen Grad ist erfolgreiche Jugendarbeit ehrenamtlich möglich. Aber um wirklich Talente zu entwickeln, die eines Tages so wie Johannes Golla den Sprung in die 1. Bundesliga schaffen, geht es nur mit professionellen Strukturen. Axel Renner, der für uns hauptamtlich als Jugendkoordinator aktiv ist, stößt unheimlich viele Dinge an. Es war ein hartes Stück Arbeit, die Vereine der Region mit ins Boot zu holen und diese uns nicht als Konkurrent sehen, der nur Talente abgreifen will. Mit der JSG Melsungen/Körle/Guxhagen wurde der Region ein Leistungsstützpunkt gegeben. Neben Johannes Golla gibt es weitere Talente, die schon mit der Bundesligamannschaft unter Michael Roth trainieren. Und mit Dimitri Ignatov aus der B-Jugend hat ein weiterer Spieler unserer Region den Sprung in die Jugend-Nationalmannschaft geschafft. Ein Indiz dafür, dass unser Konzept greift.“
Frau Braun-Lüdicke, vielen Dank für das ausführliche Gespräch.
Foto: Max Sander