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Die #Badboys sorgen für etliche Anrufe in der TUSEM-Geschäftsstelle

Kaum ein Handballer in Deutschland kann mit diesem Namen nichts anfangen: TUSEM Essen. Stars wie Jochen Fraatz, Alfreð Gíslason, Martin Schwalb oder Guðjón Valur Sigurðsson liefen im rot-weißen TUSEM-Trikot auf und sorgten zwischen 1985 und 2005 für jeweils drei nationale Meisterschaften und Pokalsiege sowie drei Europapokalerfolge rund um die Grugahalle. Doch der Glanz vergangener Tage, als der Turn- und Sportverein Essen-Margarethenhöhe zwanzig Jahre eine der Top-Adressen des deutschen (und europäischen) Handballs war, hat in den vergangenen Jahren mächtig Staub angesetzt. Seit einigen Jahren in der 2. Bundesliga beheimatet, sorgt der Verein aus dem südlichen Ruhrgebiet jetzt vor allem im Jugendhandball für Furore. „Wir setzen nach der zweiten Insolvenz 2008 und dem sportlichen Abstieg aus der 1. Liga auf die Jugend. Es ist unsere Pflicht, mit unserem Etat auszukommen“, so Dr. Niels Ellwanger, der nach der Pleite vor acht Jahren die Geschäftsführung der TUSEM Sport- & Marketing GmbH übernommen und diese in wirtschaftlich ruhigeres Fahrwasser geführt hat und zudem seit einigen Jahren auch Abteilungsleiter der Handballsparte ist. 
Das Ausbildungskonzept des Traditionsvereins beruht auf etlichen Bausteinen: Kooperation mit dem Helmholtz-Gymnasium mit angeschlossenem Sport-Internat (Eliteschule des Sports), einheitliches Ausbildungskonzept mit qualifizierten Trainern, Anschlussförderung im Seniorenbereich, sportmedizinische Beratung, … „Mir ist wichtig, dass wir unseren Talenten eine Perspektive bieten. Ab der C-Jugend starten wir mit dem leistungsorientierten Training. Unsere B- und A-Jugend-Teams spielen immer in der höchsten Liga, die 2. Mannschaft ist in der Oberliga vertreten und dient als Sprungbrett in den hochklassigen Seniorenbereich. Damit ist der Weg vorgezeichnet. Zudem gilt es den Jugendlichen Werte wie Fairness, Respekt und Disziplin zu vermitteln. Und dass sie beruflich im Bereich Studium/Ausbildung etwas tun müssen“, so Ellwanger. Denn auf das Vollprofitum wird nicht mehr gesetzt, im aktuellen Bundesligakader befinden sich elf (!) Eigengewächse – einmalig in Deutschland. Federführend hier Trainer Stephan Krebietke und sein Assistent Daniel Haase, in Personalunion auch Jugendkoordinator und A-Jugend-Trainer. „Meine Rolle sehe ich vor allem darin, die Zusammenarbeit zwischen Jugend- und Seniorenbereich eng zu verzahnen. Die Jungs werden mit 15-16 Jahren an unser einheitliches Spielsystem herangeführt, dass sich bis zur 1. Mannschaft durchzieht. Wir decken defensiv 6:0, vorne wird mit viel Tempo gespielt. Wir sind eine große Sport-Familie: die C-Jugendlichen kennen die Bundesligaspieler und umgekehrt. Unsere Talente aus der B-Jugend agieren teilweise schon im A-Jugend-Bereich, die A-Jugendlichen wiederum lernen in der 2. Mannschaft die Härte der 4. Liga kennen. In dieser Saison haben schon 19 Jugendspieler diese Erfahrung machen dürfen“, erläutert Daniel Haase. 
Das Konzept trägt Früchte, wie sich zeigt: Seit der Einführung der Jugend-Bundesliga vor sieben Jahren ist die A-Jugend dort immer vertreten, wurde in den vergangenen vier Jahren der West-Gruppe zweimal Zweiter und scheiterte jeweils im Viertel-Finale am späteren Meister Füchse Berlin; die B-Jugend wurde in der vergangenen Saison gar Deutscher Vize-Meister. Nicht umsonst wurde der Verein insgesamt sechsmal mit “Exzellente Jugendarbeit“ – ein Zertifikat, das jährlich von der HBL verliehen wird - ausgezeichnet, davon zuletzt viermal in Folge. 
Doch es sind nicht allein die Erfolge, die beeindrucken. Vielmehr ist es das schlüssige Gesamtkonzept, das die TUSEM-Protagonisten auf den Weg gebracht haben. Akteure der Ersten sind als Jugendtrainer aktiv, ihre Mannschaftskollegen besuchen die Spiele der Jugendlichen. Es gibt Gemeinschaftsaktionen wie die sechsmal im Jahr stattfindenden Handball-Camps mit bis zu 100 Kindern – diese dienen auch der Mitgliedergewinnung und Talentsichtung - oder gemeinschaftliche Aufräumaktionen von Sportstätten. Fast alle Trainer sind TUSEMer, die sich voll und ganz mit ihrer Arbeit identifizieren. „Wir machen das mit voller Überzeugung, wollen unsere Jungs nach vorne bringen. Diese Philosophie zieht sich durch die gesamte Abteilung bis ins Bundesligateam. Da greift ein Rädchen ins andere, die Trainer kommunizieren viel miteinander, um die individuelle Entwicklung jedes Einzelnen zu fördern. Stärken herausstellen und Defizite aufarbeiten“, so Stephan Krebietke. Der Diplom-Sportlehrer und ehemalige Nationalspieler, der von 1996 bis 2004 für TUSEM auf der Platte stand, blieb dem Verein nach aktiver Laufbahn erhalten und übernahm in schwierigen Zeiten 2008 das Amt des sportlichen Leiters und trainierte zudem diverse Jugendmannschaften. Seit vergangenen Sommer bekleidet er nun den Posten des Chef-Coaches und führt die Talente, die er teils selbst in der Jugend entwickelt hat, an die raue Bundesligaluft heran.
Das gute Jugendarbeit nicht teuer sein muss und sich später rentiert, zeigt das Konzept ebenfalls auf. „Der Jahresetat unserer Handballabteilung, der sich aus Sponsoring, Spenden sowie Einnahmen aus den Handball-Camps zusammensetzt, beträgt 100.000 € und wird in Hauptsache vom Gesamtverein getragen. Unsere Marketing-GmbH, die allein für unsere Bundesligamannschaft zuständig ist, hat einen der kleinsten Zweitliga-Etats. Wenn sich unsere Talente weiter so gut entwickeln, können wir vielleicht mittelfristig wieder in die Spitze der 2. Liga vordringen. Das hängt aber nicht unwesentlich von der Frage ab, wie viele unserer Eigengewächse wir in Zukunft hier in Essen halten können. Wir sollten uns dabei nicht von unserer erfolgreichen Vergangenheit blenden lassen. Sie ist eine schöne Erinnerung und gute Basis unserer Handballmarke. Aber der TUSEM von damals hatte doch ganz andere wirtschaftliche Möglichkeiten als wir heute“, so Niels Ellwanger.
Einer dieser Perspektivspieler trägt ebenfalls den Namen Ellwanger, Vorname Jonas, Sohn des Geschäftsführers und echtes Eigengewächs. Im Alter von acht Jahren wurde er vom älteren Bruder mit zum Handball “geschleppt“, durchlief fortan die gesamte TUSEM-Schule, baute am Helmholtz-Gymnasium sein Abitur, um anschließend an der Uni Essen BWL zu studieren. Doch im Moment liegt der Fokus mehr auf der Sportkarriere, dafür muss die eine oder andere Vorlesung ausfallen. Denn seit knapp drei Jahren ist er im Rückraum der Ersten zu finden. „Als junger Spieler wurde ich früh gefördert und bin schon als 17-jähriger in der A-Jugend aufgelaufen. Ich habe von Beginn an das Vertrauen unserer Trainer gespürt und wurde optimal betreut. Aktuell möchte ich mich innerhalb unserer jungen Mannschaft weiter entwickeln, um eines Tages mein Ziel `1. Bundesliga´ verwirklichen zu können“, so Ellwanger Junior, der sich den Part des Spielgestalters mit Ex-Nationalspieler Michael Hegemann teilt. Sein Vater würde seine weitere Entwicklung hin zum Handballprofi unterstützen: „Jonas´Entwicklung freut mich natürlich und macht einen Vater auch stolz. Ich hoffe, dass sein Weg irgendwann in die 1. Liga führt. Aber ich freue mich über jeden aus unserem Team, der es schafft.“
Auch Carsten Ridder gilt als Talent mit Ambitionen. In einem Ferien-Handballcamp fiel er den Talentspähern auf, lief ab der B-Jugend im TUSEM-Dress auf. Seine Trainer damals wie heute: Krebietke und Haase. „Unser 95er-Jahrgang hat erfolgreiche Jahre hinter sich, musste sich erst im Viertelfinale den Jungfüchsen um Trainer Bob Hanning geschlagen geben. Damals standen schon vier Trainingseinheiten pro Woche auf dem Plan, dazu kommen Langhantel- und Athletiktraining, das bringt einen nach vorn. Aktuell absolviere ich bei den Stadtwerken Essen eine kaufmännische Ausbildung. Da diese eine unserer Hauptsponsoren sind, werde ich für´s Frühtraining immer frei gestellt. Meinen Vertrag bei TUSEM habe ich erst kürzlich bis 2018 verlängert, das garantiert mir eine optimale Weiterentwicklung. Was dann kommt, wird sich zeigen. Klar reizt mich die 1. Bundesliga, sonst würde ich den ganzen Aufwand ja nicht betreiben“, so der Rückraumspieler zu seinen Ambitionen.
Auch Trainer Stephan Krebietke sieht in seinen Jungs noch enormes Entwicklungspotential, gibt aber auch zu bedenken: „Beide sind sehr zielstrebig, haben ein großes Teamfeeling und identifizieren sich zu 100% mit unserem Verein. Ob sie es aber – wie zum Beispiel auch Lasse Seidel oder Noah Beyer -  bis in die 1. Liga schaffen, ist schwer zu prognostizieren. Aber warum nicht? Dazu müssen sie aber noch einiges lernen, brauchen zudem einen starken Willen. Da heißt es auf bestimmte Dinge verzichten und sich voll und ganz auf den Sport zu konzentrieren.“ 
Um dann in die Fußstapfen von Spielern wie Patrick Wiencek, Ole Rahmel, Julius Kühn oder Niklas Pieczkowski zu treten. Alle nutzten das Sprungbrett TUSEM Essen, um sich anschließend in der 1. Bundesliga zu etablieren. Dass die beiden Letztgenannten gar zu den #Badboys gehören, die vor zwei Monaten Europameister wurden, gilt den Machern von der Margarethenhöhe als Bestätigung. „Dass sie bei uns die Anschlussförderung durchlaufen haben, bestätigt unser Nachwuchskonzept. Zudem ist es zusätzliche Motivation für die jungen Spieler, über die 2. Liga den Sprung nach oben zu schaffen“, so Daniel Haase. Und Geschäftsführer Ellwanger ergänzt: „Der Erfolg der Nationalmannschaft gibt uns Rückenwind. Am Tag nach dem Finale haben wir in unserer Geschäftsstelle zwanzig Anrufe von Eltern bekommen, die ihre Kinder zum Handballtraining anmelden wollten.“

 
Fotos: Max Sander - Sebastian Bliß


Autor: Max Sander

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