„Die Rittal Arena ist unsere Überlebensversicherung"
Bei der HSG Wetzlar wird in
dieser Spielzeit das 20-jährige “Dienstjubiläum“ in der 1. Bundesliga gefeiert.
Dabei hat der Verein seit den wirtschaftlich schwierigen Zeiten im Jahre 2010
einen beeindruckenden sportlichen Aufschwung bis hin zu Platz 6 in der
vergangenen Saison hingelegt. Einer der Erfolgsbausteine: die Rittal Arena. Wir
haben mit HSG-Geschäftsführer Björn Seipp über das “Schmuckkästchen
Mittelhessens" gesprochen.
Hallo Herr Seipp, in der vergangenen Spielzeit hatte die HSG Wetzlar in
heimischer Halle eine Zuschauerauslastung von knapp 97%. Wie sieht es bislang
in der laufenden Saison aus?
Björn Seipp: „Im Moment liegen wir nur marginal darunter – bei 4.230
Zuschauern im Schnitt und somit bei knapp 96 Prozent. Dazu haben unsere Fans
mit 2.800 gekauften Saisontickets einen neuen Dauerkartenrekord aufgestellt. In
der deutschen Handballszene rumort es ein wenig ob der neuen Anwurfzeiten. In
Wetzlar bemerken wir davon relativ wenig. Am Anfang war das bei uns auch ein
Riesenthema, jetzt werden die neuen, einheitlichen Anwurfzeiten eher positiv
angenommen. Viele Fans sind sonntags zeitlich flexibel, können um 14.30 Uhr,
wenn sie wollen, wieder aus der Halle sein und anschließend noch etwas mit
ihren Familien oder Freunden unternehmen. Die Fans wissen ja auch, dass die
Spieltermine dem TV-Vertrag mit Sky geschuldet sind, der viele tolle Vorteile
bietet. Zum Beispiel, dass sie alle Auswärtsspiele der HSG Wetzlar live ins
heimische Wohnzimmer geliefert bekommen, zudem eine umfassende
Berichterstattung des ganzen Spieltages mit Vor- und Nachberichten. Auch von
Sponsoren haben wir überraschenderweise viele positive Rückmeldungen bekommen,
dass es auch bei dem neuen Sonntagstermin möglich ist, mit Kunden zum Handball
zu gehen.“
Durch ihren Job als Geschäftsführer der HSG Wetzlar kennen
sie natürlich auch viele andere Bundesliga-Hallen. Was ist aus ihrer Sicht das
Besondere an der Rittal Arena?
Björn
Seipp: „Das Besondere sind an
aller erster Stelle unsere Zuschauer. Das Publikum in Wetzlar steht voll hinter
der Mannschaft, mit einer absolut positiven Grundeinstellung. Auch wenn es in
einem Spiel sportlich mal nicht ganz so läuft, geben die Fans alles für die
Mannschaft. Pfiffe oder das Zuschauer früher nach Hause gehen, kennen wir in
Wetzlar nicht. In den elf Jahren des Bestehens unserer Arena haben sich unsere
Zuschauer von einem Eventpublikum, das anfangs zu den Heimspielen gekommen ist,
um die neue Halle zu sehen, mehr oder weniger zu einem Fachpublikum mit Herz
für die HSG Wetzlar entwickelt. Insgesamt schätzen die Zuschauer bei uns das
Gesamtpaket aus toller Arena, sportlicher Leistung, Event sowie guter
Infrastruktur.“
Welche Rolle spielt für die gute Stimmung die Stehplatztribüne
hinter dem Tor?
Björn
Seipp: „Von dort kommt das
`positive Grundrauschen´ über den Fanclub, was die Zuschauer in der gesamten
Halle dazu animiert, mitzumachen. Dass die Stadtoberen damals während der
Planungs- und Realisierungsphase eine große Stehplatztribüne in das
Gesamtkonzept haben mit einfließen lassen, ist für uns heute ein Glücksfall.
Zum einen, weil dort stimmungsmäßig `die Post abgeht´, zum anderen bauen wir
dort unseren Fannachwuchs auf. Vor sieben Jahren haben wir begonnen, über
unsere Social-Media-Kanäle gezielt junge Menschen anzusprechen, um diese für
unsere Heimspiele zu begeistern. Für Zuschauer unter 18 Jahren gilt bei uns ein
Eintrittspreis von 8 Euro für einen Stehplatz. Und daran wird auch nicht
gerüttelt. Dadurch haben wir es geschafft, dass 60 % der Zuschauer auf unserer
Stehplatztribüne unter 25 Jahren sind. Ich glaube, dass in anderen
Bundesliga-Hallen insgesamt ein höherer Altersdurchschnitt vorherrscht.“
Beim Praxisforum Handball im August dieses Jahres in Köln
haben Sie in ihrem Vortrag erwähnt, dass Delegationen aus dem In- und Ausland
nach Wetzlar kommen, um sich das Konzept der Rittal Arena näher erläutern zu
lassen.
Björn
Seipp: „In erste Linie möchten
sich die Investoren und Vereinsvertreter von der Betreiberfirma Gegenbauer die
bauliche Realisierung eines solchen Vorhabens sowie das wirtschaftliche Konzept
der Halle erklären lassen. Häufig spielen auch technische Fragestellungen bei
diesen Meetings eine Rolle. Die HBL hat in Sachen Hallenstandards eine Vorbildfunktion
in Europa. Einige ausländische und deutsche Delegationen waren schon zu Besuch
und es gab durchweg positive Rückmeldungen zu unserem `Schmuckkästchen´. Es
macht uns natürlich stolz, dass unsere Halle so gut ankommt – und wir machen
das gerne, weil der Handball national wie international von stimmungsvollen
Arenen profitieren kann.“
Vor einigen Monaten habe ich mit Karsten Günther ein Gespräch
geführt. „Ohne die Arena in Leipzig würde es uns in der
1. Bundesliga nicht geben. Ohne diese Halle im Hinterkopf zu haben wären wir
damals nie auf die Idee gekommen, unser Projekt anzugehen (…)“, so der
DHfK-Geschäftsführer. Welche wirtschaftliche Bedeutung hat die Rittal Arena für
die HSG Wetzlar?
Björn
Seipp: „Diese Arena ist unsere
Überlebensversicherung. Ich denke, dass dieses bei den anderen Bundesligisten
ebenso der Fall ist. In der 1. Liga brauchst du einfach eine gewisse Größe und
Ausstattung, um marketing- und vertriebstechnisch erfolgreich arbeiten zu
können. Wenn ich an die Zeit bis 2004 zurückdenke, als die HSG Wetzlar noch in
der Sporthalle in Dutenhofen spielte - damals die `größte Kneipe Mittelhessens´
- dann war das eine tolle Zeit, denn nach Abpfiff wurden Theken, Stehtische und
Bierbänke auf´s Spielfeld gestellt und die Fans ließen dort den Heimspieltag
ausklingen. Heute erfüllt diese Halle aber nicht mehr die Anforderungen von Sponsoren, Fans und der Liga. Mit dem
Umzug in die Rittal Arena vor elf Jahren hat sich die HSG Wetzlar zukunftsorientiert
aufgestellt und ihr Einnahmenpotential in Sachen Sponsoring und Ticketing
gesteigert, was zwingend notwendig war, sonst würde es hier heute keinen
Bundesliga-Handball mehr geben.“
Wie ist die vertragliche Konstellation bezüglich der Rittal
Arena?
Björn
Seipp: „Eigentümer ist die Stadt
Wetzlar. Betreiber die Firma Gegenbauer aus Berlin. Mit beiden pflegen wir ein
sehr gutes Miteinander. Mit unseren 18 bis 19 Heimspiel-Terminen in Liga und
Pokal sind wir Ankermieter, zu durchaus akzeptablen Mietkonditionen. Die Frage
für die Zukunft wird sein: Wie können wir das Potential der Halle verbessern,
um auch in den nächsten Jahren den Bundesliga-Handball in Wetzlar sicherstellen
zu können? Denn seit der Eröffnung der Halle 2005 hat sich ein gewisser
Investitionsstau aufgebaut. Dabei geht es gar nicht um eine Erhöhung der
Zuschauerkapazitäten. Ich finde, dass die Rittal Arena mit 4.421 Zuschauern für
unsere Bedürfnisse ausreichend groß ist. Aber um den nächsten
Vermarktungsschritt zu machen und damit unsere Einnahmenseite zu stärken,
brauchen wir auf absehbare Zeit zum Beispiel eine Videowand, um den
Eventcharakter während des Spiels zu stärken und gleichzeitig die
Sponsoring-Möglichkeiten für unsere Partner weiter verbessern zu können. Von
Clubseite haben wir in den vergangenen Jahren bereits einiges in LED-Banden und
den neuen Hallenboden investiert. Jetzt geht es um die Infrastruktur im
Mietobjekt.“
Die TSV Hannover-Burgdorf hat seit dieser Saison die mehr als
9.000 Zuschauer fassende TUI-Arena als ihre neue Spielstätte auserkoren. Zudem
ist TSV-Geschäftsführer Benjamin Chatton seit einigen Monaten in Personalunion
auch Geschäftsführer der Betreiber-Gesellschaft. Ist so etwas auch in Wetzlar
denkbar?
Björn
Seipp: „Ich finde, dass die
Verantwortlichen in Hannover das sehr geschickt und zukunftsorientiert gelöst
haben. Durch den Umzug in die TUI-Arena ergeben sich für den Club und dessen
Partner wichtige Synergieeffekte, da Sponsoren auch gewisse Wünsche und
Vorstellungen außerhalb ihres Sportsponsorings haben, zum Beispiel bei der
Realisierung eigener Firmenevents. Deshalb könnte das Modell Hannover
sicherlich auch an anderen Bundesligastandorten gut funktionieren.“
Die Verantwortlichen der HSG Wetzlar betonen häufiger, einen
der kleinsten Etats aller 18 Erstligisten zu haben. Sie selber haben bei ihrem
Vortrag beim Praxisforum Handball betont, um weiter mithalten zu können, muss
die Wirtschaft der Region Mittelhessen noch stärker als bisher `mit ins Boot´
geholt werden.
Björn
Seipp: „Mit unserem Etat von rund
3,5 Millionen Euro stehen wir im unteren Tabellendrittel der Liga. Wenn
man die
wirtschaftlichen Möglichkeiten in Bezug zu den sportlichen Leistungen
unserer
Mannschaft setzt, sind wir der erfolgreichste Verein in der Bundesliga:
Platz
14 bei den jährlichen Einnahmen, Platz 6 in der in der Abschlusstabelle
der
vergangenen Saison. Wir sind aber, ähnlich wie der SC Freiburg im
Fußball, annähernd jährlich dazu gezwungen, unsere besten Spieler
ziehen zu lassen und im Sommer wieder mit neuen Talenten anzufangen. Das
birgt
das Risiko, dass wir auch mal falsch liegen und in sportliche
Schieflagen
kommen können. Unser aktueller Etat wird in wenigen Jahren nicht mehr
ausreichen, um dauerhaft konkurrenzfähig zu
bleiben.“
Deshalb
legen Sie den Finger in die Wunde?
Björn
Seipp: „Ja, es gilt der Region
klar zu machen, dass uns die unmittelbare Konkurrenz aus Stuttgart,
Erlangen/Nürnberg oder Leipzig wirtschaftlich bereits links überholt. Alle drei
Clubs sind Aufsteiger der vergangenen Jahre und in finanzstarken Metropolen
beheimatet. Wir dürfen uns hier nicht auf der erfolgreichen Vergangenheit
ausruhen, sondern müssen den Entwicklungen und Mechanismen im Profisport ins Auge
schauen. Von Schulterklopfen allein finanziert sich kein Bundesligist. Wir
müssen unseren Etat mit Hilfe der bestehenden und neuen
Partnern entwickeln, um dieser handballbegeisterten Region auch weiterhin
erfolgreichen Erstliga-Handball und den Kindern Vorbilder liefern zu können.“
Welche neuen Wege beschreitet die HSG in diese Hinsicht?
Schielt man mit einem Auge auch auf den wirtschaftlich starken Großraum
Frankfurt?
Björn
Seipp: „Dafür haben wir
verschiedene Strategien entwickelt, um z. B. mit dem Instrument `Employer
Branding´ bestehende Partnerschaften zu festigen und neue Sponsoren aus der
regionalen Wirtschaft zu gewinnen. Fachkräftemangel, Mitarbeitergewinnung und
-bindung sowie Ausbildung sind in der Wirtschaft aktuell das beherrschende
Thema. Und die HSG Wetzlar kann als das sportliche Aushängeschild der Region
ein wichtiger Partner sein, um Unternehmen in all diesen Punkten aktiv zu
unterstützen. Sicherlich haben wir bei all unseren Aktivitäten auch die Rhein-Main-Region
mit im Fokus. Leider spielt der Handball am Finanzplatz Frankfurt aber noch
keine allzu große Rolle. Wallau-Massenheim und Großwallstadt haben es vor
Jahren versucht und sind dort nicht glücklich geworden. Auch die Champions
League-Spiele der Rhein-Neckar-Löwen fanden dort nur wenig Anklang. Allerdings
bietet der neue TV-Vertrag nunmehr auch Großunternehmen tolle Ansätze, sich
werblich im Handball zu engagieren. Das zeigen die ersten Mediadaten. Ich
hoffe, dass wir darüber den Zugang ins Rhein-Main-Gebiet finden können und so
der ein oder andere Zuschauer und Sponsor den Weg zu uns ins nur 45 Autominuten
entfernte Wetzlar findet.“
Herr
Seipp, vielen Dank für das ausführliche Gespräch.
Fotos:
HSG Wetzlar - Max Sander