Mit Standortvorteil Leipzig in die 1. Liga
Den sportlichen Werdegang des SC DHfK Leipzig verfolge ich seit
dessen Zweitligazeiten. Was dort in den vergangenen Jahren geschaffen wurde:
Chapeau! Vor einigen Monaten hatte ich Christian Prokop, der vier Jahre
Cheftrainer des SC DHfK war, nach dem Leipziger Erfolgsrezept befragt. „(…)
Karsten Günther ist das Herzstück dieses Vereins. Er hat es geschafft, eine
Zukunftsvision für den Verein zu entwerfen und die Region für Handball zu
begeistern (…)“, so der Bundestrainer. Nun hatte ich Gelegenheit, mit dem
Macher des Leipziger Wegs zu sprechen. Als
Blogger treffe ich (Handball-)Menschen; man befragt sie, man interviewt sie,
man diskutiert mit ihnen. Manche dieser Begegnungen hat man alsbald wieder
vergessen, manche beeindrucken einen nachhaltig. Letzteres trifft hier zu!
Hallo Herr Günther, in diesem Jahr blicken Sie als
Geschäftsführer auf zehn Jahre `Erfolgsgeschichte SC DHfK Leipzig´ zurück.
Kommt ihnen das Ganze nicht manchmal wie ein Traum vor?
Karsten Günther:
„Im täglichen Bundesligageschäft bleibt wenig Zeit zum Reflektieren. Wir haben
vor ein paar Monaten unsere 10-Jahres-Feier mit den Fans in der Arena gefeiert.
Am Vortag hat die Mannschaft der ersten Stunde gegen ein Team Kretzsche
gespielt. Gemeinsam haben wir in den `Rückspiegel´ geschaut und uns gefragt:
Was ist hier in den letzten zehn Jahren eigentlich alles so passiert? Ansonsten
liegt mein Hauptaugenmerk auf dem Tagesgeschäft und ich beschäftige mich damit,
wie wir als Team unseren Verein weiterentwickeln und neue Ideen in die Tat umsetzen
können. In Momenten wie in diesem Interview bei dieser Fragestellung kommen mir
natürlich schon einige Bilder in den Sinn. Ich kann mich noch gut daran
erinnern, als wir 2008 im ersten Anlauf – ich damals als junger Trainer auf der
Bank - in die 3. Liga aufgestiegen sind. Das Ganze kam sportlich wie
wirtschaftlich völlig überraschend. Im Nachgang bin ich froh, dass wir in der
darauffolgenden Saison direkt wieder in die Oberliga runter mussten. So hatten
wir mehr Zeit, ein wirtschaftliches Fundament aufzubauen, um 2010 den
Wiederaufstieg in die 3. Liga zu bewerkstelligen. Um nur ein Jahr später den
Sprung in die 2. Bundesliga zu schaffen. Das war so nicht geplant und hatte auch
mit der Insolvenz von Concordia Delitzsch zu tun. Für mich persönlich war deren
Pleite ein trauriger Moment, da ich einige Jahre zuvor noch in Delitzsch als
Spieler aktiv war. Als DHfK-Geschäftsführer musste ich nun mit meinen
Mitstreitern über Nacht entscheiden, wie wir mit der Situation umgehen. Viele
Concordia-Spieler kamen mit dem Wunsch auf uns zu, aufgrund von Job und Studium
in Leipzig bleiben zu wollen und wir konnten ihnen sportlich eine neue Perspektive
bieten. Dieser Umstand hat unsere Entwicklung ein Stück weit beschleunigt,
sonst hätte es sicher länger gedauert, um die Tür zur Bundesliga aufzustoßen.
Doch entscheidend für mich war unser Ehrgeiz, der uns immer getrieben hat, das
Projekt `Handball-Bundesliga in Leipzig´ in die Tat umzusetzen. Es gab nicht
wenige in der Stadt, die von unserem Plan nicht überzeugt waren.“
Die Abkürzung DHfK steht für Deutsche Hochschule für
Körperkultur. Wie sehr sind sie als Verein durch diese Elite-Sporthochschule
geprägt worden?
Karsten Günther:
„Für mich war es dramatisch mitanzusehen, was aus der Leistungssportschmiede
der ehemaligen DDR geworden ist. Was dort an wissenschaftlichem Know-how mit
einer großen Anzahl von international anerkannten Professoren über Jahrzehnte
aufgebaut wurde, ist zum Opfer der Wende geworden. Für mich schwer begreiflich,
dass die Hochschule nicht in die Einheit mit rüber gerettet werden konnte.
Heute ist sie noch eine Fakultät an der Uni Leipzig und kämpft darum kein
Institut zu werden. Meine Freunde und ich haben an dieser studiert. Der
Ursprung unseres Vereins liegt in dieser Institution. Die Ernst-Grube-Halle,
jahrelang Heimspielstätte unserer Handballer, wird heute noch als Unisporthalle
genutzt. Wir haben auf persönlicher Ebene gute Verbindungen zur Fakultät.
Wissenschaftliche Kooperationen beschränken sich aber auf ein Minimum, da der
Sportfachbereich der Bürokratie der Uni unterstellt ist und somit wenig
eigenverantwortlich agieren kann. Somit können wir nicht das ganze
wissenschaftliche Potential, dass dort schlummert, ausschöpfen.“
In einem Interview mit Ihnen habe ich den Satz gelesen: „Es
gab ein paar Schlüsselmomente, die du nicht planen kannst.“ Welches waren neben
diesen Momenten die entscheidenden Erfolgsbausteine des rasanten Aufstiegs ihres
Vereins? Was zeichnet den Handballstandort Leipzig aus?
Karsten Günther:
„Im Nachhinein betrachtet gab es eine Reihe von glücklichen Momenten,
die
unsere Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren entscheidend
beeinflusst
haben. Als Erstes fällt mir da das Traumlos im DHB Pokal ein,
unmittelbar nach
unserem Wechsel von der SG MoGoNo zum SC DHfK Leipzig im Jahr 2007. Wir
hatten
in der 2. Runde den TBV Lemgo zu Gast, damals gespickt mit
Nationalspielern die
gerade die Heim-WM gewonnen hatten, und plötzlich sprach man in Leipzig
wieder
über Männerhandball. Dann der glückliche Sieg im Stadtderby gegen den
damaligen
Platzhirschen SG LVB, der uns viel Selbstvertrauen gegeben hat. Die
Insolvenz
von Concordia Delitzsch war ebenfalls einer dieser Momente, die du nicht
planen
kannst, uns aber sportlich gesehen voran gebracht hat. Auch dass Stefan
Kretzschmar mit seiner Tätigkeit als Sportdirektor beim SC Magdeburg
2009 nicht
mehr glücklich war und es somit einen Weg gab, ihn für Leipzig zu
begeistern,
war so nicht vorhersehbar. Und dass Christian Prokop – von dem wir
natürlich
überzeugt waren, sonst hätten wir ihn als Trainer nicht verpflichtet –
sportlich wie menschlich zu 100 Prozent zu uns passt, kann als
Meilenstein
unserer Entwicklung bezeichnet werden. Doch neben diesen teils
glücklichen
Umständen gibt es eine Reihe von Erfolgsbausteinen, die uns ein stetes
Vorankommen gewährleistet haben. Alle Personen, die an unserem
Handballprojekt
seit Jahren maßgeblich beteiligt sind, zeichnet ein ehrlicher Ehrgeiz
aus.
Gerade in den ersten Jahren, als wir von so manch einem als `Spinner´
bezeichnet
wurden, war unser Antrieb stets: Wir wollen in die 1. Bundesliga. Dabei
lag unser
Fokus von Beginn an auf der Nachwuchsförderung. Unsere erste
hauptamtliche
Trainerstelle war die des Kindersportkoordinators, um an Grundschulen
den
Nachwuchs in Sachen Handball zu fördern. Zudem wurde eine eigene
Grundschulliga
gegründet und das Nikolausspielfest wiederbelebt. Diese Bemühungen
mündeten in
der Handballakademie Leipzig, die wir 2010 in Kooperation mit Delitzsch
und der
SG LBV ins Leben gerufen haben. Von der exzellenten Arbeit dort haben
wir in all den Jahren sehr profitiert. Lukas Binder, Franz Semper oder
Lukas
Krzikalla sowie einige andere Akteure fanden über die Akademie den Weg
in
unseren Bundesligakader. Ein weiterer Erfolgsbaustein: Der Umzug in die
Arena
Leipzig, der unsere wirtschaftliche Entwicklung maßgeblich beeinflusst
hat.
Unsere Arbeit war und ist immer stark vom Teamgedanken geprägt. Da
schließe ich
auch unsere Sponsoren mit ein. Ein Beispiel: Als im vergangenen Jahr
unser
Hauptsponsor fluege.de ausfiel,
konnte unser Sponsoren-Netzwerk die entstandene Lücke von 100.000 €
schließen. Und nicht zu vernachlässigen: Der Standortvorteil Leipzig.
Eine
tolle Stadt, in der sich die Menschen einfach wohlfühlen können und uns
als
Verein zudem eine gute Sportinfrastruktur bietet.“
Ich habe vor ein paar Monaten mit Christian Prokop ein Interview
geführt. In diesem hat er über Sie verlauten lassen: „Das Herzstück des Vereins
ist Karsten Günther. Er hat es geschafft, für den Verein eine Zukunftsvision zu
entwerfen und die Region für Handball zu begeistern.“ Wie gehen Sie mit so
einem Kompliment um? Gab es für Sie in der Vergangenheit einen Plan B, falls
ihr Handball-Projekt gefloppt wäre?
Karsten Günther:
„Es freut mich ungemein, dieses Zitat zu hören, weil ich weiß, dass Christian
es ehrlich meint. Ich betone aber, dass niemand es alleine schafft, so ein
Projekt auf die Beine zu stellen. Dazu brauchst du als Geschäftsführer ein
ambitioniertes Team im Rücken. Die Mitarbeiter unserer Geschäftsstelle, alle
Trainer, die Mannschaft, unsere Fans, die Sponsoren und Stefan Kretzschmar,
alle haben sich für unsere Zielsetzungen begeistern lassen. Wobei ich an dieser
Stelle auch einmal Maik Gottas nennen möchte, der sich häufig im Hintergrund
hält. Er war damals der Erste, der daran geglaubt hat, dass wir eines Tages in
der 1. Bundesliga spielen werden und als unser ehemaliger Manager und heutiger
Gesellschafter unglaublich viel für den Verein tut. Insgesamt sind es viele
Puzzleteile, die uns erfolgreich machen – und ich bin ein Teil davon. Als ich
mich vor zehn Jahren auf das Projekt eingelassen habe, gab es für mich keinen
Plan B. In den ersten drei Jahren meines Engagements für den Verein habe ich kein
Geld verdient. Ich habe neben meinem Studium und dem Aufbau unseres Projektes gekellnert,
um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Meine Mitstreiter und ich haben uns
damals keine Zeitschiene vorgegeben, wann wir bestimmte Ziele erreichen wollen.
Zeitdruck ist eher kontraproduktiv. Neben dem Faktor Zeit braucht es Know-how,
um so etwas entwickeln zu können. Und nicht alles ist zu 100 Prozent planbar.
An bestimmten Stellen mussten wir im Laufe der Jahre nachjustieren, wenn Dinge
nicht nach unseren Vorstellungen funktioniert haben.“
Seit wann ist Stefan
Kretzschmar beim SC DHfK Leipzig mit an Bord? Wie kam es dazu? Welche Aufgaben
erfüllt er als Aufsichtsratsmitglied?
Karsten Günther: „In der Saison 2009/10 hatten wir erstmalig
Kontakt zu ihm. Klaus Franke, ehemaliger Trainer der Frauen-Nationalmannschaft
der DDR und Freund der Familie Kretzschmar, hatte uns damals den Tipp gegeben:
Ruf doch mal in Magdeburg an. Denn er wusste als einer der Ersten, dass es für
Kretzsche beim SCM nicht mehr weitergehen würde. Ich kann mich noch gut an mein
erstes Gespräch mit ihm erinnern. Stefan kam in Begleitung seiner kubanischen
Frau. Und da ich ein wenig Spanisch konnte, konnten wir uns alle gut
verständigen. Schon nach dem ersten Gespräch war klar, dass zwischen uns die
Chemie stimmt und somit eine Zusammenarbeit gut funktionieren kann. Heute sind
wir gute Freunde – und ich bin total
dankbar, dass er Teil der DHfK-Familie ist. Er berät uns in sportlichen Dingen
und hat gerade in der Anfangszeit bei Entscheidungsträgern in Unternehmen
`Türen auf´ bekommen, die für uns als Verein zuvor verschlossen schienen.“
Was in den vergangenen Jahren aufgefallen ist: Die
Aufsteiger, die sich in der 1. Bundesliga etablieren konnten, sind durchweg
Großstadtvereine bzw. haben ihren Standort dorthin verlegt. Die Zukunft des Bundesliga-Handballs
findet in den Großstädten statt, oder?
Karsten Günther: „Wichtig für einen bundesligatauglichen Standort
ist nicht allein die Größe einer Stadt. Flensburg ist für mich ein sehr gutes
Beispiel, dass auch in kleineren Städten Erstligahandball auf Spitzenniveau
möglich ist. Entscheidend sind in meinen Augen die Begeisterungsfähigkeit einer
Region in Sachen Handball sowie das Potential an Wirtschaftskraft in derselben.
Was für einen Standort extrem wichtig ist: Eine große, bundesligataugliche
Halle. Ohne die Arena in Leipzig würde es uns in der 1. Bundesliga nicht geben.
Ohne diese Halle im Hinterkopf wären wir nie auf die Idee gekommen, unser
Projekt anzugehen. Sie bietet uns eine Kapazität von bis zu 7.000 Zuschauern, darüber hinaus können wir dort unsere Sponsoren
super präsentieren und vernetzen, da sie mit einem großzügigen VIP-Bereich
ausgestattet ist. Problematisch sind noch die freien Terminfenster, doch daran
arbeiten wir wie an allen Dingen sehr kooperativ mit dem Hallenbetreiber.“
Nach vier sehr erfolgreichen Jahren ist Christian Prokop
bekanntermaßen seit einigen Monaten nicht mehr Trainer des SC DHfK Leipzig. Wie
schwer ist Ihnen die Entscheidung gefallen, ihn zu lassen? Wie geht die
Erfolgsgeschichte weiter? Vor Saisonbeginn wurden Sie in der Handballwoche zitiert:
„Selbstverständlich träumt man vom Europapokal. Das einzige, was uns in Leipzig
begrenzt, ist das Hallendach.“
Karsten Günther:
„Die Entscheidung Christian ziehen zu lassen, ist uns – unabhängig vom Geld –
sehr schwer gefallen. Er wollte aber unbedingt den Job des Bundestrainers, es
spricht für seinen Ehrgeiz. Doch erst, als wir einen Plan für eine Zukunft ohne
ihn hatten, haben wir seinem Wechselwunsch entsprochen. Mit Andre Haber als
jetzigem Chefcoach und mit Michael Biegler, der ab der Rückrunde bei uns auf
der Trainerbank sitzen wird, sehe ich uns sehr gut aufgestellt. Wir wollen
weiter sportlich erfolgreich sein, möchten eines Tages europäisch spielen. Das
ist der nächste große Traum, den wir hier in Leipzig haben. Dafür müssen wir
uns in vielen Bereichen weiterentwickeln, wirtschaftlich, organisatorisch und
auch sportlich. Wir haben viele Spieler im Kader, die diese Entwicklung mit uns
gemeinsam gehen können, doch das braucht Zeit und Zusammenhalt, wenn es auf
diesem Weg einmal Rückschläge gibt. Davon sind wir in den letzten Jahren
ziemlich verschont geblieben, dürfen aber bei aller Euphorie nicht vergessen, dass wir immer noch ein junger Erstligist
sind, der sich im fortlaufenden Prozess der Etablierung in der Bundesliga
befindet. Rückschritte sind da nicht ausgeschlossen. Uns ist bewusst, dass die Entwicklungsschritte
kleiner werden – kein Wunder nach den riesigen Schritten der vergangenen Jahre.“
Herr Günther, vielen Dank für das ausführliche Gespräch und
ihrem Verein viel Erfolg in der laufenden Saison.
Fotos: SC DHfK Leipzig - Max Sander